Wie geduldig darf Papier sein?

Ein vergessener Bundestagsbeschluss gegen Rechtsextremismus

Das Erschrecken war groß, als sich vor nunmehr sechs Wochen bestätigte: Rechtsextremisten schrecken nicht vor planvollem Mord und Totschlag zurück. Auch Politiker bekannten, sie hätten sich nie vorstellen können, welche Ausmaße rechtsextremistische Gewalt ausgerechnet in Deutschland erreicht hat. Könnten sie das wirklich nicht? Oder übte man sich nur im Verdrängen? Ende 2000, als Rechtsextremisten schon einmal das Land in tiefes Erschrecken getrieben hatten, gab es angeblich einen »Aufstand der Anständigen«. Paul Spiegel, damals Präsidenten des Zentralrats der Juden, sagte: »Wir dürfen bei der Bekämpfung von Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit nicht inne halten. Denn es geht nicht allein um uns Juden, um Türken, um Schwarze, um Obdachlose, um Schwule. Es geht um dieses Land, es geht um die Zukunft jedes einzelnen Menschen in diesem Land.« Danach beschloss der Bundestag detaillierte Maßnahmen »gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt«. René Heilig las im Protokoll. Der Vergleich mit der Realität dokumentiert vor allem Untätigkeit.

Freitag der 30. März 2001. Um 9 Uhr eröffnet Bundestagsvizepräsident Dr. Hermann Otto Solms (FDP) die 162. Sitzung. Vorgelegt sind ein Antrag der Fraktionen von SPD, Grünen, FDP und PDS. Er richtet sich »gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus«. Die CDU/CSU hielt unter dem Titel »Nachhaltige Bekämpfung von Extremismus und Gewalt« ein eigenes Papier dagegen. Nach knapper Aussprache wurde der erste Antrag beschlossen.

Man kann den Grund für die wahrlich ungewöhnlich parteiübergreifende Initiative im Antrag nachlesen: »Rechtsextremismus hat sich in Deutschland im Jahr 2000 erschreckend ausgebreitet. Nach amtlichen Erkenntnissen wurden allein von Januar bis September 2000 rund 10 000 rechtsextremistisch motivierte Straftaten registriert - so viele wie im gesamten Jahr 1999. In der Zeit von 1990 bis 2000 kamen nach Medienberichten 93 Menschen durch rechtsextremistische Gewalttaten ums Leben.«

2001 - 93 Tot...


Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.

Bitte aktivieren Sie Cookies, um sich einloggen zu können.

- Anzeige -
- Anzeige -