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Tätertypen
Biografien von Angehörigen des Kommandanturstabs im KZ Sachsenhausen
Vier SS-Männer im KZ Sachsenhausen - vier Tätertypen. Die Historikerin Andrea Riedle hat Akten zu 230 Angehörigen des Kommandanturstabs durchforstet und sich bei Kindern erkundigt. Riedle schildert aufschlussreich, was das für Männer waren, die in dem Konzentrationslager Verbrechen verübten. Zur Illustration widmet sie sich den Biografien von vier Männern, die beispielhaft für vier Tätertypen stehen:
Wilhelm Schubert: ein stupider Sadist. Gustav Sorge: äußerst brutal, aber keineswegs dumm. Alfred Klein: ein bürokratischer Schreibtischtäter; und Johann Sosnowski, der sich anfangs für den Faschismus begeistert, aber gegen die Verhältnisse im KZ dann doch moralische Bedenken hegt. Sosnowski gilt bei den Häftlingen als anständig. Er ermordet nur dann Menschen, wenn es ihm befohlen wird. Anders als Sorge und Schubert fühlt er keine Mordlust.
Als im Herbst 1941 sowjetische Kriegsgefangene ins KZ Sachsenhausen gebracht und innerhalb einiger Wochen mindestens 10 000 von ihnen erschossen werden, bemüht sich SS-Oberscharführer Wilhelm Schubert, möglichst viele Menschen eigenhändig umzubringen. So kündigt er beim Eintreffen der Gefangenen an, er werde sich noch heute »das da« holen, wobei er auf die Stelle an seiner Uniform zeigt, an der das Kriegsverdienstkreuz hängen würde. Der SS-Oberscharführer hat von den KZ-Häftlingen den Spitznamen »Pistolen-Schubert« bekommen, weil er oft mit seiner Waffe herumfuchtelt und niemals zögert, abzudrücken. So schießt er nachts zuweilen unvermittelt durch Fenster in die dunklen Schlafräume. Selbst seine Kameraden von der SS glauben, dass Schubert, der sich schwer beherrschen kann, einen Knall hat.
Ebenso brutal wie Schubert ist SS-Hauptscharführer Gustav Sorge. Er erwirbt sich bereits in der Weimarer Republik den Spitznamen »Eiserner Gustav«, weil er bei Straßenschlachten mit dem Rotfrontkämpferbund oder mit dem sozialdemokratischen Reichsbanner rücksichtslos prügelte. Im Unterschied zu Pistolen-Schubert, dem das Lernen stets schwer fiel und der auch keine Lust dazu hatte, ist der Eiserne Gustav nicht dumm. Er hat zwar auch nur die Volksschule besucht, war dort aber Klassenbester. Es gelingt Sorge, sich in Sachsenhausen zum Ersten Arbeitseinsatzführer hochzudienen. In dieser Funktion nimmt er an der Besprechung teil, bei der über die Ermordung der sowjetischen Kriegsgefangenen beraten wird. Hernach gibt Sorge Anweisungen zum Bau der Genickschussanlage. Er greift jedoch nicht zur Waffe.
Auch der SS-Hauptscharführer Alfred Klein tut dies nicht. Als Verantwortlicher für das Krematorium ist er allerdings doch an dem Massenmord beteiligt. Wenn die Leichen nicht schnell genug verbrannt werden können, stocken die Erschießungen. Deshalb tüftelt Klein an einem neuartigen Krematorium mit maschineller Zerkleinerung und industrieller Beseitigung der Leichname.
Verschiedene Charaktere
Nur widerwillig nimmt SS-Oberscharführer Johann Sosnowski an Erschießungen sowjetischer Kriegsgefangener teil. Er versucht, sich zu drücken. Das gelingt ihm jedoch nicht jeden Tag. 1942 meldet sich Sosnowski zur Lehr- und Versuchsabteilung für das Diensthundewesen der Waffen-SS in Oranienburg. Auch dort hat er mit KZ-Häftlingen zur tun. Er schmuggelt für sie Briefe und organisiert Kleidung und Fahrräder, die für Fluchtversuche verwendet werden. Das kommt heraus. Sosnowski wird ins Gefängnis gesteckt. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs gelingt ihm die Flucht.
Einst gab es in der Forschung die Ansicht, das gesamte KZ-Personal habe durchweg aus primitiven Psychopathen bestanden. Aber auch die spätere Meinung, es habe sich um normale Männer gehandelt, trifft offensichtlich nicht zu. Vielmehr stößt die Historikerin Riedle auf unterschiedliche Charaktere. Gleichwohl gibt es typische Merkmale.
So stammen die Angehörigen des Kommandanturstabs in der Regel aus der unteren Mittelschicht, ihre Väter sind oft Handwerker oder Landwirte. Die Söhne besuchen bloß die Volksschule. Aber manche wären zu mehr fähig gewesen. Die Krisenzeit der Weimarer Republik ließ es nicht zu. Viele sind mal arbeitslos. Oft gehören die späteren Block-, Rapport- oder Arbeitseinsatzführer bereits vor 1933 der SA, der SS oder einer anderen nationalistischen Organisation an. Sie treten aus der Kirche aus und möchten gern Offizier werden. Zu den SS-Totenkopfverbänden melden sie sich, weil diese in dem Ruf stehen, dort könne man schneller Karriere machen als in der Armee. Wer rasch in einen Unteroffiziersrang klettert, verdient mehr Geld, als wenn er in seinem eigentlichen Beruf geblieben wäre.
Gewalttätigkeit wird als KZ-Wachmann eingeübt durchs Zusehen und Nachmachen. Wer als zu lasch gilt, bleibt bei Beförderungen unberücksichtigt. Brutale Morde dagegen zahlen sich mindestens so lange aus, bis 1942 die Blitzkriegsstrategie an der Ostfront gescheitert ist und die SS-Spitze deswegen die Arbeitskraft der Häftlinge für die Rüstungsindustrie ausbeuten will. Auch ohne Abitur kann man bei den SS-Totenkopfverbänden sogar Offizier werden, wenn man nur einigermaßen fähig ist. Bei der Wehrmacht wäre dies undenkbar.
Unterschiedliche Einsichten
Schubert, Klein und Sosnowski leugnen später ihre Taten und weigern sich, alte Kameraden durch ihre Aussagen zu belasten. Alfred Klein stirbt 1972, Johann Sosnowski 1984. Sie haben nach ihren Prozessen, die mit geringen Strafen endeten, ein unauffälliges Leben geführt. Anders Wilhelm Schubert. Der bleibt bis zu seinem Tod 2006 ein fanatischer Nazi. In seiner Wohnung in Solingen hängt er ein Bild auf, dass ihn in SS-Uniform zeigt.
Dagegen macht Gustav Sorge im sibirischen Arbeitslager Workuta eine Wandlung durch. Er wendet sich der Religion zu und erkennt seine Schuld, obgleich er denkt, er werde ungerecht behandelt, weil andere Nazis mit milden Strafen davonkommen. Nach zehn Jahren in Sibirien darf Sorge in die Bundesrepublik. Doch dort verbringt er nur wenige Tage in Freiheit. Ein Bonner Gericht verurteilt ihn zu lebenslanger Haft.
Andrea Riedle: »Die Angehörigen des Kommandanturstabs im KZ Sachsenhausen«, Metropol, 284 Seiten (brosch.), 22 Euro
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