Jeder Zweite geht mit Abschlägen in Rente

Von wegen arbeiten bis 67: Immer mehr Bundesbürger scheiden vorzeitig aus dem Berufsleben

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 5 Min.
Beinahe die Hälfte aller Bundesbürgern, die 2010 in den Ruhestand ging, musste teilweise deutliche Abschläge hinnehmen - im Durchschnitt 113 Euro pro Monat. Weil zudem ab Januar 2012 die ersten Regelungen zur Rente mit 67 greifen, warnen Sozialverbände und Gewerkschaften vor zunehmender Altersarmut.

Ab kommendem Jahr greifen die Regelungen zur Rente mit 67. Die damit verbundene Verlängerung der Lebensarbeitszeit dürfte im Endeffekt auf eine Rentenkürzung hinauslaufen. Denn schon jetzt arbeitet kaum jemand bis zur Regelaltersgrenze von 65 Jahren, wie die aktuellen Zahlen der Deutschen Rentenversicherung belegen.

Die Zahlen lassen aufhorchen: Von den 674 000 Versicherten, die im Jahr 2010 erstmals eine Altersrente erhielten, mussten mehr als 47 Prozent Kürzungen hinnehmen, meldete die »Süddeutsche Zeitung« am Mittwoch. Grund für die Abschläge: Die Betroffenen hatten nicht bis zur Regelaltersgrenze von 65 Jahren gearbeitet.

Keine optimalen Voraussetzungen also für die Rente mit 67, die ab Januar 2012 schrittweise eingeführt werden soll und die Anhebung des Renteneintrittsalters um zwei Jahre vorsieht.

Trotz der oft schmerzhaften Einbußen - im Durchschnitt 113 Euro pro Monat - streichen immer mehr Arbeitnehmer frühzeitig die Segel. Derzeit liegt das Alter der Ausstiegswilligen bei rund 62 Jahren. Das bedeutet: Die Frührentner gingen drei Jahre und zwei Monate vor Erreichen der Altersgrenze in den Ruhestand. Ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums bestätigte am Mittwoch die Zahlen, machte aber die derzeit gehäuft auftretenden Frühverrentungen ostdeutscher Frauen für den Trend verantwortlich.

Dass Menschen vorzeitig aus dem Berufsleben aussteigen, ist kein neues Phänomen. Neu sind jedoch die massiven Renteneinbußen, die sie dafür hinnehmen müssen. Erst die Regierung Kohl hatte im Jahre 1992 diese Abschläge im Rahmen des Rentenreformgesetzes beschlossen. Nach und nach wurden die Kürzungen dann wirksam. Noch im Jahr 2000 waren nicht einmal 15 Prozent der Rentner von Abschlägen betroffen. Heute muss beinahe jeder zweite mit weniger Rente auskommen.

Dass hinter den Abschlägen Methode steckt, bestätigte der Sprecher des Ministeriums. Sie seien eingeführt worden, um die Rente finanzierbar zu halten, so der Sprecher. Zudem führe an der Rente mit 67 kein Weg vorbei. Auch Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt zeigte sich von den Zahlen unbeeindruckt und nannte das steigende Renteneintrittsalter »zumutbar«.

Massive Kritik kam hingegen von den Sozialverbänden und Gewerkschaften. In einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur epd warnte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach: »Durch die Rente mit 67 drohen noch mehr Menschen in die wachsende Kluft zwischen dem Ende des Arbeitslebens und dem Anfang der Rente zu stürzen - das heißt noch höhere Abschläge und Rentenkürzung.«

Damit wachse das Risiko der Altersarmut auch für Durchschnittsverdiener, so Buntenbach. Die Gewerkschafterin forderte zudem, dass Unternehmer, die sich weigern, die Arbeitsbedingungen für Ältere zu verbessern, an den Kosten der Frühverrentung beteiligt werden sollten. »Solange die Beschäftigten kaum eine Chance haben, bis 65 zu arbeiten, ist die Rente mit 67 ein reines Rentenkürzungsprogramm«, betonte Buntenbach.

Ein Blick auf entsprechende Statistiken bestätigt Buntenbachs Vorwurf. Laut einer Studie des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen aus dem Jahre 2010 können etwa Bauarbeiter überdurchschnittlich häufig ihren Job ab dem 60. Lebensjahr nicht mehr ausüben. Auch Werkzeugmacher, Mechaniker oder Elektriker sind selten bis zum Erreichen der offiziellen Regelaltersgrenze berufstätig. Viele von ihnen gehen ab 55 in Rente. Auch Polizisten, Feuerwehrleute und Lokführer scheiden früher aus dem Berufsleben aus.

Ganz anders hingegen Besserverdiener wie Manager, Ärzte und Richter. Wie die Studie belegt, arbeiten viele von ihnen bis zum 65. Geburtstag.

Kein Wunder also, wenn sich die Mehrheit der Bundesbürger gegen ein festes Renteneintrittsalter ausspricht. Einer aktuellen Forsa-Umfrage zufolge, wünschen sich 81 Prozent der Befragten flexible Lösungen. Lediglich 17 Prozent sind für feste Eintrittsgrenzen. »Die Umfrage zeigt, dass das Renteneintrittsalter in Deutschland als zu starr empfunden wird«, sagte Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die die Umfrage in Auftrag gegeben hatte. »Zu starre Eintrittsgrenzen sind offenkundig nicht das, was die Menschen in Deutschland wollen«, resümierte Lüders am Mittwoch.


Zahlen und Fakten: Arbeit bis 67

Mit dem Neujahrstag 2012 beginnt der erste Schritt zur Anhebung des gesetzlichen Rentenalters von derzeit 65 auf 67 Jahre. Im Jahr 2029 ist der Prozess abgeschlossen. Dann gibt es die Rente ohne Abschläge im Regelfall nur noch mit 67 Jahren. Das Regelalter für die abschlagsfreie Rente steigt von derzeit 65 Jahren anfangs in Schritten von einem Monat, in der zweiten Phase in Zwei-Monats-Schritten. Die erste Anhebung um einen Monat im nächsten Jahr trifft den Geburtsjahrgang 1947. Jene also, die im Laufe der kommenden zwölf Monate 65 werden. Der erste Jahrgang, der für die volle Rente bis 67 arbeiten muss, ist der Geburtsjahrgang 1964. Das sind die Frauen und Männer im Alter von heute 47 Jahren oder jünger.

Offiziell wird auf den demografischen Wandel verwiesen. Weil die Bundesbürger immer länger leben und zugleich die Zahl der Beitragszahler schrumpft, soll die Rente mit 67 soll für neue Balance sorgen. Bis zum Jahr 2030 wird sich der Altersaufbau der Bevölkerung in Deutschland weiter deutlich verändern. Die Altersgruppe der 20- bis 64-Jährigen - das sind die Erwerbsfähigen - schrumpft nach den Prognosen um fünf Millionen auf dann rund 45 Millionen. Im selben Zeitraum nimmt die Zahl der Menschen über 65 um gut sechs auf 22 Millionen zu. Kamen vor 20 Jahren noch vier Erwerbsfähige auf einen Rentner, so wird das Verhältnis im Jahr 2030 voraussichtlich 2:1 betragen. Linke Ökonomen kritisieren jedoch immer wieder, dass diese Berechnungen die steigende Produktivität in Deutschland ignorieren. Die Rente mit 67 ist vor allem auch ein Geschenk an die Arbeitgeber, denn sie soll den Anstieg des Beitragssatzes abmildern.

Übrigens: Zum 1. Januar 2012 sinkt der Rentenbeitragssatz um 0,3 Prozentpunkte auf dann 19,6 Prozent. Entlastung für die Arbeitgeber: 1,3 Milliarden Euro.
nd-lambeck/Agenturen

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