Dortmund will nicht braun bleiben

Beratungsstelle für Opfer von Nazigewalt eröffnet

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 3 Min.
In der Nazihochburg Dortmund hat die erste nordrhein-westfälische Beratungsstelle für die Opfer rechtsextremer Gewalt eröffnet. Deren Mitarbeiter können sich über einen Mangel an Arbeit nicht beklagen. Dabei hatte das SPD-geführte Innenministerium noch vor einem Jahr verkündet, solche Beratungsstellen seien nicht nötig »angesichts des breiten Hilfsangebotes«.

Kurz vor Weihnachten erwischte es selbst den Oberbürgermeister: Ullrich Sierau (SPD) erhielt Besuch von »Nationalen Weihnachtsmännern«, die Sieraus Privathaus aufsuchten und seiner Frau eine Art Geschenkpaket überreichten - mit Forderungen an das Stadtoberhaupt und einer kaum verhohlenen Drohung: »Wir vergessen niemanden«. »Zum Inhalt des Paketes äußern wir uns nicht«, hieß es gestern kryptisch in der Pressestelle der Stadt. Die Täter sind bisher unbekannt, die Polizei wurde eingeschaltet, die Ermittlungen laufen.

Sierau (»Dortmund ist keine Nazihochburg sondern eine Hochburg des Widerstandes gegen Nazis«) ist zwar der bisher der prominenteste, aber gewiss nicht einzige Dortmunder Bürger, der von der in Dortmund besonders gewaltbereiten Naziszene bedroht wird. Mehrere Morde gingen in den letzten Jahren auf das Konto brauner Gewalttäter - meist wurden die Taten in der polizeilichen Kriminalitätsstatistik nicht einmal als »rechtsextrem« eingestuft. Gewerkschaftliche 1.-Mai-Kundgebungen wurden überfallen, antifaschistische Jugendliche massiv eingeschüchtert, Familien, die Neonazi-Aufkleber entfernen, terrorisiert.

Und während OB Sierau die gewiss schöne Utopie einer komplett nazifreien Stadt beschwor, zogen immer mehr Kader gen Dortmund, weil sie die Samthandschuhe schätzen, mit denen sie hier angefasst werden. Mittlerweile 70 Kader strahlen republikweit aus und verkünden frech: »Dortmund ist unsere Stadt« (»nd« berichtete mehrfach).

Dortmund - die Nazihochburg? Möglicherweise beginnt das Blatt sich nun zu wenden. So ist zu vernehmen, dass der designierte neue Polizeipräsident Norbert Wesseler bezogen auf gewaltfreie Blockaden von Naziaufmärschen eine andere Position vertritt als der umstrittene derzeitige Amtsinhaber Hans Schulze. Schulze sah es als seine vornehmste Aufgabe an, den Nazis möglichst ungehinderte Aufmärsche durch die Straßen Dortmunds zu ermöglichen - kein Aufwand erschien dabei zu groß. Doch zum Jahresende geht Schulze in Rente.

Vor ein paar Wochen wurde zudem eine Beratungsstelle für die Opfer von Nazigewalt in Dortmund angesiedelt - zwar zuständig für die gesamte Region Westfalen (das Rheinland wird bald nachlegen), aber immerhin in der richtigen Stadt beheimatet.

Die dahinter stehende Initiative »Back Up NRW« kann sich über einen Mangel an Arbeit wahrlich nicht klagen: Bereits 30 Naziopfer werden betreut. Und die berichten häufig von schweren Gewalterfahrungen, die durchaus keine Einzeltaten, sondern politisch motiviert, gezielt und organisiert seien.

Die Gewalt könne jeden treffen: »Rechtsextremisten terrorisieren alles und jeden, der nicht ihrer Vorstellung entspricht - und das sind nunmal 90 bis 95 Prozent der Gesamtbevölkerung«, sagt der Rechtsanwalt Ulf Märtens, der in der Beratungsstelle mitarbeitet. Zuhören, rechtlich beraten, Anwälte vermitteln, an der Seite der Opfer stehen - so beschreibt Märtens die Aufgaben der neuen Einrichtung.

»Back Up« wird vom Land NRW bezuschusst - mit 300 000 Euro im ersten Halbjahr für die beiden Beratungsstellen. Das ist durchaus keine Selbstverständlichkeit: »Zeitweilig mussten Opferberatungsstellen in Thüringen und Sachsen-Anhalt die Betroffenen betreuen, weil es in NRW ja keine adäquaten Angebote gab«, erinnert sich Anna Conrads, die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im NRW-Landtag.

Gerade die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalens rot-grüner Minderheitsregierung mussten dazulernen: Noch vor einem Jahr beantwortete das SPD-geführte Innenministerium eine Kleine Anfrage der Linksfraktion zur denkbaren »Einrichtung von Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt« abschlägig: »Opferschutz und Opferhilfe sind feste Bestandteile polizeilicher Arbeit in Nordrhein-Westfalen.« Freimütig hieß es in der Ministeriumsantwort: »Die Polizei unterscheidet dabei nicht zwischen Opfern rechter und sonstiger Gewalt.« Und: »Die Einrichtung weiterer Beratungsstellen speziell für Opfer rechtsextremistischer Gewalt ist angesichts des breiten Hilfsangebotes, das in Nordrhein-Westfalen auf allen Ebenen zur Verfügung steht, nicht notwendig.«

Der Druck der LINKEN, Interventionen des grünen Koalitionspartners und eine andere Problemsicht nach der Aufdeckung der Zwickauer Terrorzelle führten hier offenbar zu einem Umdenken in der SPD. Zwar freut sich LINKE-Politikerin Conrads darüber, dass die beiden Beratungsstellen ihre Arbeit aufnehmen können. »Doch«, so moniert sie, »die eingeplantem Gelder werden hinten und vorne nicht reichen.«

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.