Gezielt gegen die Todesstrafe

Justizminister weist Anschuldigungen wegen seiner Dissertation zurück

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.
Justizminister Dr. Volkmar Schöneburg (LINKE) müsse sein Verhältnis zum Rechtsstaat überprüfen, findet der Landtagsabgeordnete Danny Eichelbaum (CDU). Es sei nicht das erste Mal, dass Äußerungen bekannt werden, die daran zweifeln lassen. Die Abgeordnete Margitta Mächtig (LINKE) spricht hingegen von unverschämten Unterstellungen.

Der Justizminister sieht sich dem Verdacht ausgesetzt, er habe in seiner in den Jahren 1984 bis 1987 verfassten Dissertation die Todesstrafe gerechtfertigt oder sie unter bestimmten Umständen sogar gut geheißen. An den Anschuldigungen sei aber nichts dran, versicherte Schöneburg gestern dem nd. »Ich war, bin und bleibe ein Gegner der Todesstrafe.«

Damals an der Berliner Humboldt-Universität habe er in Wirklichkeit eine Diskussion darüber anstoßen wollen, warum es die Todesstrafe in der DDR überhaupt noch gab. Thema der Doktorarbeit sei das »Kriminalwissenschaftliche Erbe der KPD 1919 bis 1933« gewesen. Bei seinen Forschungen dazu sei er »überrascht« und »fasziniert« gewesen, welche modernen Positionen die Kommunisten in der Weimarer Republik vertraten. So wollten sie keine Haftstrafen, die länger als fünf Jahre dauern. Sie wollten das Alter der Strafmündigkeit von 14 auf 16 Jahre heraufsetzen und die Homosexualität entkriminalisieren.

Hinter den Überlegungen der KPD habe der Gedanke der Resozialisierung gestanden, erläuterte der Justizminister, dem dies selbst ein wichtiges Anliegen ist. So möchte Schöneburg die bei 60 Prozent liegende Rückfallquote von entlassenen Häftlingen unbedingt senken. Bei jungen Straftätern ohne Berufsabschluss liege die Rückfallquote bei über 90 Prozent. Währenddessen werden nur 30 Prozent der gut Ausgebildeten, die nach der Haft einen Arbeitsplatz finden, rückfällig. Dies zeige, in welche Richtung in den brandenburgischen Gefängnissen gearbeitet werden müsse, erklärt Schöneburg.

Doch zurück zu Dissertation und Todesstrafe. Die KPD beantragte einst - leider erfolglos - im Reichstag die Abschaffung der Todesstrafe. Daraufhin wurde den Kommunisten Scheinheiligkeit vorgeworfen, da es ja diese Strafe auch in Sowjetrussland gebe. Das konterte die KPD mit dem Hinweis, dort herrsche eine revolutionäre Umbruchsituation, und in solchen Zeiten sei die Anwendung der Todesstrafe gerechtfertigt, sonst jedoch nicht.

Das hat Schöneburg in seiner Dissertation nur zitiert. Er hat sich allerdings auch nicht ausdrücklich davon distanziert. »Sonst wäre die Dissertation in der DDR nicht gedruckt worden«, rechtfertigt sich der Jurist. Seine Absicht sei jedoch keineswegs gewesen, die Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe in revolutionären Umbruchsituationen zu begrüßen. Stattdessen habe er die in der DDR noch geltende Todesstrafe angreifen wollen. Auch wenn ihm nicht mehr alle Formulierungen in der Dissertation gefallen, zu seiner damaligen Zielrichtung stehe er heute noch, betont Schöneburg.

An einem Kriminellen wurde die Todesstrafe in der DDR letztmalig Ende der 70er Jahre vollstreckt. Es erwischte einen Sexualmörder. Die letzte Hinrichtung gab es Anfang der 80er Jahre in einem politischen Fall. Exekutiert wurde ein Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, der überlaufen wollte.

Offiziell abgeschafft wurde die Todesstrafe im Juli 1987 als Schöneburg seine Doktorarbeit bereits fertig hatte. Die Abschaffung erfolgte aus außenpolitischen Erwägungen, im Zusammenhang mit dem Besuch des Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker (SED) bei Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU).

Doch so konnte das natürlich nicht begründet werden. Sein Vorgesetzter habe deshalb mit den Erkenntnissen aus der Dissertation argumentiert und gesagt, nun herrschten in der DDR stabile Verhältnisse, und man könne deswegen auf die Todesstrafe verzichten, erzählt Schöneburg. Noch zu DDR-Zeiten habe er in der Fachzeitschrift »Staat und Recht« darauf reagiert und klargestellt, dass die KPD die Todesstrafe nicht erst Jahrzehnte nach einer siegreichen Revolution abschaffen wollte, sondern »sofort« danach.

Von der wissenschaftlichen Arbeit Volkmar Schöneburgs profitierte übrigens auch der bekannte DEFA-Regisseur Heiner Carow, als er den inzwischen legendären Spielfilm »Coming out« über die Probleme der Homosexuellen drehen wollte. Carow war ein Nachbar der Familie von Professor Karl-Heinz Schöneburg, und so erfuhr der Sohn Volkmar, dass Chefideologe Kurt Hager »Manschetten« hatte, die Thematik zuzulassen. Volkmar Schöneburg half mit einem Gutachten aus, was die KPD und die Arbeiterbewegung seit August Bebel über die Homosexualität und ihre Entkriminalisierung gedacht hatten. Um dem Gutachten eine höhere Weihe zu verleihen, sei es als eine Gemeinschaftsarbeit mit dem renommierten Vater ausgegeben worden, erinnert sich Volkmar Schöneburg. Tatsächlich habe er das Gutachten jedoch allein verfasst.

Die Argumente genügten, um Kurt Hager umzustimmen. Regisseur Carow durfte den Streifen drehen und bedankte sich. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Schöneburgs Zuarbeit Einfluss auf die Filmszene hatte, in der ein alter homosexueller Kommunist in einer Schwulenkneipe sagt, die DDR denke an alle Opfer des Faschismus, nur die Schwulen habe sie vergessen. Schöneburg will allerdings nicht so weit gehen, sich diese Szene gutzuschreiben. Er weiß nicht, wie sie Eingang ins Drehbuch fand. Sein Gutachten hat er nicht mehr. Es gelangte in die Hände von Schwulenaktivisten, die es ausstellen wollten.

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