Wie »der Doktor« auf den Alten Fritz verfiel
Jetzt geht's los! Das Preußenjahr zu Ehren von Friedrich II. ist eröffnet
Der Schuss ist gefallen, das 366 Tage-Rennen »F. II« gestartet. Was wird der Erinnerungs-Marathon für Friedrich II. von Preußen, der vor 300 Jahren, am 24. Januar 1712 geboren wurde, bringen? Und warum überhaupt stürzen sich Heerscharen von Historikern, Publizisten, Journalisten, Filmemachern, Fernsehproduzenten und Kuratoren ausgerechnet auf diesen Preußen? Wegen der zwei Nullen hinter der drei? Gibt es keine wichtigeren Themen? Soll die Event-Generation befriedigt werden? Oder geht es, wie so oft, einzig ums liebe Geld, das mit dem Verkauf von Eintrittsbillets, Büchern und Zeitschriften sowie Devotionalien zu verdienen ist. Oder schlicht um Werbung für Potsdam und Rheinsberg. Leuthen und Kunersdorf stehen zu Reklamezwecken nicht zur Verfügung, weil sie an Polen »verloren« sind und heute Lutynia und Kunowice heißen.
Nun danket alle Gott
Apropos Kunersdorf. Daran hätten wir uns vor etwa drei Jahren mit Gründen erinnern können, denn da lag die Schlacht, die von den Truppen des noch nicht so alten Fritz 1759 geschlagen wurde, exakt 250 Jahre zurück. Aber mit Schlachten haben wir es nicht mehr so. Zudem haben wir an Gefechten und Scharmützeln genug, die sich »unsere Soldaten« in Afghanistan liefern müssen. Außerdem waren die preußischen Regimenter bei diesem niederschlesischen Nest von den Österreichern und den Russen tüchtig verhauen worden. Knapp zwei Jahre zuvor war das bei Leuthen noch anders ausgegangen. Und da hatte dann angeblich ein Chor von 25 000 überlebenden Siegern »Nun danket alle Gott« gesungen. So kamen die Deutschen dann zum Choral von Leuthen und 1933 sogar zu einem Spielfilm gleichen Namens.
Also, der Friedrich bekommt 2012 seine Hohe Zeit. Da drängt sich die Frage auf: Wann hatte er seine letzte? Sie liegt exakt 70 Jahre zurück. Und damals war vielen Deutschen etwas unwohl zumute. Der Krieg im Osten war nicht nach ihren Vorstellungen verlaufen, die Väter und Söhne vieler froren in den russischen Weiten jämmerlich. Die deutschen Kinos indessen waren noch gut beheizt und zusätzlich von Besuchern erwärmt, die sich dort mangels anderer Ablenkung zahlreicher drängten als in den Jahren zuvor. Und dort lief jetzt »Der große König« an, ein Spielfilm aus der Werkstatt des Veit Harlan. Dessen Handlung begann mit der Schlacht bei Kunersdorf, wo es Friedrich II. und vor allem seinen Soldaten übel erging.
Wieso wagte man 1942 eine Leinwanddarbietung über einen Krieg, den die Deutschen, zu denen Preußen immer wieder etwas voreilig erklärt wurde, verloren hatten? Das passte, denn die Handlung endete natürlich mit einem späteren Triumph »Seiner Majestät«. Die Botschaft des Films lautete also im dritten Kriegsjahr: Man musste nur glauben, aushalten, siegesgewiss sein wie der kleine Mann und große Held vor Zeiten, der am Ende mit seinen Feinden - darunter den Russen - fertig geworden ist.
Nicht, dass die deutschen Faschisten Friedrich II. erst im Krieg wiederentdeckt hätten. Er war der »ihre« schon seit ihrer so genannten Kampfzeit. Im letzten Wahlkampf in Deutschland, der den Namen noch verdiente, fanden sich in den Straßen und an Plätzen Großplakate mit den Konterfeis dreier Männer: des »Großen Königs« Friedrich II., des »Eisernen Kanzlers« Otto von Bismarck und des »Führers« Adolf Hitler. Und als im März 1933 in Potsdam das Bündnis der alten und neuen Reaktionäre demonstriert werden sollte, kletterten der frühere Generalfeldmarschall des letzten regierenden Hohenzollern, Paul von Hindenburg, und der einstige Gefreite des Kaiserheeres, der gebürtige Österreicher und nunmehrige Kanzler der Deutschen, gemeinsam in die Gruft der Garnisonskirche hinab - zum Sarkophag des berühmtesten Preußenkönigs, der wider dessen Willen da seine letzte Ruhestätte hat finden sollen.
Nein, hervorgekramt wurde der vielgerühmte Preuße 1942 nicht, aber er erhielt eine weitere, spezielle Funktion. Jetzt ging es nicht nur darum, den »Führer« durch die Konstruktion einer Traditionslinie auf einen turmhohen Denkmalsockel zu stellen, sondern allen Volksgenossen sollte sich zweierlei einprägen: Sie hätten an den Sieg zu glauben, komme was immer da wolle, und sie hätten zu kämpfen, das eigene Leben nichtachtend, wie es eben der Alte Fritz getan habe. Der überlebte zwar im Gegensatz zu Tausenden seiner Soldaten alle seine Schlachten und wurde 74 Jahre alt, was im 18. Jahrhundert und auch später noch laut Volksmund »ein schönes Alter« war. Doch was soll's.
Der Mann, der sich seit 1942 der Pflege der Erinnerung an den von Anekdoten und Legenden umgebenen Preußenkönig besonders annahm, hieß Josef Goebbels und war für die Durchhalte-Propaganda zuständig wie niemand sonst. Je kritischer und schließlich je deprimierender die Kriegslage für die deutsche Wehrmacht wurde, je besorgter die Stimmung im Hinterland, umso häufiger, tiefer und verwegener griff »der Doktor« in die preußische Geschichtskiste, in die Schublade Friedrich II. und dort in die Ablage »Siebenjähriger Krieg«.
So auch am 20. April 1942, als im Reich wieder mal »Führers Geburtstag« begangen wurde. Der Gefeierte selbst war in seinem Hauptquartier beschäftigt und daher nicht anwesend, als der Propagandaminister in der Berliner Sporthalle vor auserlesenem Jubelpublikum auf Fridericus Rex zu reden kam. Die ihn hörten, hatten den Harlanschen Geschichtsschinken womöglich schon gesehen und darin jene Szene, in der das Offizierskorps von ihrem obersten Kriegsherrn durch eine feurige Rede wieder aufgerichtet wurde und den Befehl »Angriff« erhielt. Wann wird es »im Osten« wieder losgehen, fragten sich die Jubeldeutschen. Außerhalb der Halle herrschte vielerorts eine andere Stimmung. Wenn wieder »angetreten« werde, würde sich auch die Zahl der Todesnachrichten mehren.
Preußens Geschichte und namentlich die des längsten Krieges der drei Schlesischen Kriege, also des auch »Siebenjähriger« genannten, wurden von der Nazipropaganda in einem solchen Grade angerufen, dass, wie es in einem Bericht des Sicherheitsdienstes 1943 hieß, im Elsass Beschwerden laut wurden. Dort nämlich fühlten sich »Volksgenossen«, deren Vorfahren bei den Siegen unter Preußens Fahnen nicht dabei waren, zurückgesetzt. Sie schlugen vor, zum Mutmachen auch in andere Großzeiten deutscher Vergangenheit zu greifen.
Jedoch, gebraucht wurde der Situation angemessenes historisches Propagandamaterial. Da gab es zwar noch die Völkerschlacht bei Leipzig 1813, der dann der Einzug in Paris gefolgt war. Indessen musste da viel vorheriges Geschehen ausgelassen werden: die Napoleons Siegen 1806/07 folgenden Zeiten von »Deutschlands tiefster Erniedrigung«, die Jahre der Besatzung, die unheroische Flucht eines anderen Preußenkönigs, den niemand einen Großen nennen konnte, und vor allem die Waffenbrüderschaft mit den Armeen des russischen Zaren. Nein, Friedrich der Große war da geeigneter zum ausschlachten.
Die wehrlosen Toten
Das »Dritte Reich« war schon in der Phase seiner Agonie angekommen, in Ost und West standen Truppen der Alliierten auf deutschem Gebiet, da wurde der Wunderglaube an einen »Sieg deutscher Waffen« mit dem Verweis auf die abrupte Wendung in einem Krieg des »Großen Preußen« zu nähren gesucht. Die war durch den Tod der russischen Zarin, den Thronwechsel und das darauf folgende Ausscheiden Russlands aus der militärischen Konfrontation entstanden. An dessen Ende konnte Friedrich II. behaupten, was er vordem erobert hatte. Diese Erinnerung vermochte indessen weder die Kriegsstimmung der Deutschen zu heben noch die endgültige Niederlage aufzuhalten. Selbst die Nachricht vom Tod des US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelts blieb ohne Wirkung.
Die friderizianische Etappe der preußischen Geschichte war von der Nazi-Kriegspropaganda ausgepresst worden wie eine Zitrone. Hatte der Mann auf dem preußischen Thron, der vor 300 Jahren das Licht der Welt erblickte, dies verdient? Niemand ist wehrloser als die Toten. Friedrich II. bestimmt auch in diesem Jahr nicht mit, was die Dirigenten, Orchester, Solisten und Chöre der Erinnerung mit ihm anstellen werden.
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