Gegen Not und Gier

Genossenschaftsbanken bieten seit etwa 150 Jahren Konten und Kredite auch für kleine Leute

  • Jochen Bülow
  • Lesedauer: 6 Min.
Der Genossenschaftsgedanke wird wieder diskutiert - der Finanzmarktkrise sei Dank. Genossenschaftsbanken sind ein Beispiel für Vorzüge und Grenzen des genossenschaftlichen Gedankens. Die UN-Generalversammlung hat das Jahr 2012 zum Internationalen Jahr der Genossenschaften erklärt, weil diese Organisationsform es erlaubt, nachhaltig zu wirtschaften und sozial verantwortlich zu handeln.
Schulze-Delitzsch gründete 1849 eine Schuhmachergenossenschaft und schrieb einige Jahre später einen Leitfaden zur Gründung von Volksbanken.
Schulze-Delitzsch gründete 1849 eine Schuhmachergenossenschaft und schrieb einige Jahre später einen Leitfaden zur Gründung von Volksbanken.

»Der Nobelpreis 2006 geht an Muhammad Yunus und die Grameen Bank für ihre Anstrengungen, ökonomische und soziale Entwicklung von unten zu ermöglichen. Dauerhafter Frieden kann erst dann erreicht werden, wenn große Bevölkerungsgruppen Auswege aus der Armut finden. Mikrokredite sind ein solcher Ausweg. Entwicklung von unten fördert die Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten.«

So begründete das norwegische Nobelpreiskomitee den Friedenspreis für den »Banker der Armen«, den »Erfinder der Mikrokredite«. Unabhängig von aktueller Kritik an Mohammad Yunus und teilweise skandalösen Entwicklungen bei den Mikrokrediten - die Idee der Mikrokredite stammt nicht aus Bangladesch. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts reagierten Menschen wie Friedrich Wilhelm Raiffeisen, Franz Hermann Schulze-Delitzsch oder Robert Owen auf die entsetzliche Armut und den grassierenden Hunger in ihren Heimatländern. Sie entwickelten dabei ein Konzept, das Bertolt Brecht später in der Dreigroschenoper einprägsam und bitter-ironisch umschrieb: »Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?«

Statt Kredithaie zu füttern, organisierten die Väter des genossenschaftlichen Bankwesens lokale Kreditgenossenschaften. Der Zweck: die sichere Verwahrung des Vermögens der Genossenschafter und die Kreditvergabe an die Mitglieder der Genossenschaft. Kredite ohne Fremdmittel, Hilfe auf Gegenseitigkeit, gemeinsamer Nutzen aller Genossenschafter und die demokratische Struktur der Genossenschaften selber wurden zu den Markenzeichen der neuen Bankform. Weltweit wurde das Genossenschaftsprinzip zum Erfolgsmodell, Mohammad Yunus und die Grameen-Bank passten das Konzept an die Verhältnisse in Bangladesch an.

Die Maximierung von Profit ist nicht das Ziel

Mittlerweile werden viele Aspekte der Mikrokredite kritisch gesehen, haben sich internationale Geldgeber des lukrativen Geschäfts mit Kleinstkrediten bemächtigt. Oft steht am Ende keine positive Entwicklung für die Menschen und ihre Gesellschaften in den sogenannten Entwicklungsländern: Überschuldung, Landverlust und Selbstmorde trüben das noch vor ein paar Jahren glänzende Image der Mikrokredite: »Viele missbrauchen die Idee«, räumt Mohammad Yunus 2010 selber ein, »sie nehmen sie, um damit möglichst viel Geld zu verdienen. Sie ziehen Investoren an und wollen an die Börse. Das ist verkehrt!« Und es ist nicht, was die Gründerväter des Genossenschaftsgedankens und tausende Genossenschaftsbanken weltweit als erfolgreiches Geschäft betreiben: Genossenschaftsbanken soll es gerade nicht um Profitmaximierung gehen. In vielen Ländern werden Genossenschaften und genossenschaftlich organisierte Finanzinstitutionen deshalb steuerlich begünstigt, wird der Erwerb von Genossenschaftsanteilen gesetzlich gefördert.

»Credit Union«, »Raiffeisen- und Genossenschaftsbank«, »Cooperativas de ahorro y crédito« - Genossenschaftsbanken firmieren weltweit unter vielen Namen. Mehr als 53 000 in 100 Ländern zählt der »World Council of Credit Unions«, die Spareinlagen betragen mehr als 1,2 Billionen Dollar. Selbstverwaltung, soziale Aufgabenstellung und lokale Bindung gehören immer zu den Kernpunkten ihres Selbstverständnisses. Das hat sie auch wirtschaftlich erfolgreich gemacht: Auf Barbados sind mehr als 70 Prozent der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung Mitglied einer Kreditgenossenschaft. Irland meldet ähnliche Zahlen, in Kanada ist es knapp die Hälfte und in den USA 44 Prozent. Und fast überall melden Genossenschaftsbanken auch im Zeitalter der Banken- und Finanzkrise stabile Zahlen und sogar steigende Kreditvergaben, auch in Deutschland. Dort ist der Genossenschaftsgedanke in den gut 150 Jahren seiner Existenz nie vergessen worden: Gut 1100 Genossenschaftsbanken bedienen rund 30 Millionen Kunden, bieten in 13 500 großen und kleinen Zweigstellen fast alle branchenüblichen Angebote. Dank hoher Eigenkapitalquoten und einem überschaubaren Geschäftsbereich sind Genossenschaftsbanken bisher viel weniger von den Turbulenzen des Finanzkapitalismus betroffen als private und öffentlich-rechtliche Banken.

Interessanterweise drückt sich diese Solidität nur bedingt in den Ratings der großen Agenturen aus: Die »Genossenschaftliche Finanzgruppe« bekommt von der Ratingagentur Fitch ein A+ und gilt so als ähnlich ausfallsicher wie die BayernLB, die Commerzbank oder die Landesbank Baden-Württemberg. Drei Banken, die in der jüngeren Vergangenheit nicht gerade mit guten Geschäftszahlen auf sich aufmerksam machten. Vielmehr waren öffentlichen Bürgschaften und Steuergeld nötig, um Pleiten abzuwenden. A+ ist gar kein schlechtes Rating - aber als die Deutsche Bank jüngst auf A+ zurückgestuft wurde, hallte ein Aufschrei der Empörung durch die Seiten der Wirtschaftszeitungen. Vielleicht gerade weil die Deutsche Bank einer der größten Profiteure der Euro-Rettung ist und trotzdem vollmundig verkündet, keine Steuergelder zu benötigen.

Volkswirtschaftlich betrachtet sind Kreditgenossenschaften ein großer Gewinn: In Deutschland arbeiten dort knapp 160 000 Menschen - die Deutsche Bank beschäftigt weltweit gerade einmal 77 000 Mitarbeiter. Die unterschiedlichen Geschäftsmodelle werden bei Umsätzen und Gewinnen klar: Bei den deutschen Genossenschaftsbanken erreichte der Umsatz gut 1000 Milliarden Euro, der Gewinn lag 2010 bei 4,3 Mrd. Euro. Die größte deutsche Genossenschaftsbank, die Berliner Volksbank, setzte davon gerade einmal gut neun Mrd. Euro um. Branchenprimus Deutsche Bank bilanziert 2010 rund 1900 Mrd. Euro Umsatz und macht etwa 2,3 Mrd. Euro Gewinn - viel Umsatz ist gut für das Rating, unabhängig davon, ob dadurch ein volkswirtschaftlicher Nutzen entsteht oder mit windigen »Finanzmarktprodukten« das schnelle Geld verdient wird. Dabei ist die Finanzierung beispielsweise der Landwirtschaft auch in Industrieländern ohne die Genossenschaftsbanken kaum denkbar: Zu klein, zu aufwendig, zu wenig Rendite - so qualifizieren Privatbanken und auch öffentlich-rechtliche Geldinstitute das Geschäft mit den Bauern häufig ab.

Weil die »Kreditklemme« mittlerweile sogar Branchen erreicht hat, die bisher großzügig finanziert wurden, denken vielerorts auch große Mittelständler mit kapitalintensiven Produktionsprozessen über genossenschaftliche Finanzierungsmodelle nach: »Dass Du Dich wehren musst, wenn Du nicht untergehen willst, wirst Du doch einsehen«, scheint auch für französische Unternehmer zur Devise zu werden. In unserem Nachbarland wird an der Gründung einer Genossenschaftsbank »Corporate Funding Association« gearbeitet, die den daran beteiligten Unternehmen einfache Kredite zu fairen Bedingungen verschaffen soll - die französischen Geschäftsbanken scheinen sogar nach Ansicht von Unternehmern nicht länger ihre eigentliche Aufgabe zu erfüllen und stattdessen lieber Milliarden im internationalen Finanzmarktkasino zu verbrennen.

Gut für Gesellschaft und Volkswirtschaft

Heute wie 1864, als Friedrich Wilhelm Raiffeisen in Neuwied den »Heddesdorfer Darlehenskassenverein« aus der Taufe hob, ging es um das gleiche Problem: Gesellschaftlich und volkswirtschaftlich sinnvoll ist nicht unbedingt, was Banken Profite bringt. Im Gegenteil: Es dauerte nur wenige Jahre, bis Finanzjongleure die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Idee der Mikrokredite mit Verbriefungen pervertierten. Plötzlich waren zusammengefasste Mikrokredite handelbar, mit den Verbriefungen wurden die Mikrokredite Spielball genau jener Giftpapiere, die die weltweite Krise des Finanzkapitalismus ausgelöst hatten. Genossenschaften wie die niederländische Genossenschaft »Oikocredit« wollen gegensteuern. Transparenz und die Kontrolle der einheimischen Partner sollen bei den weltweiten Finanzierungen der ökumenischen Entwicklungsbank dafür sorgen, dass die angestrebten Entwicklungsziele auch erreicht werden: »Die Investitionskriterien richten sich nicht nach religiösen Grundsätzen. Stattdessen achten wir auf wirtschaftliche Tragfähigkeit, Armutsbekämpfung und andere soziale Auswirkungen«, schreibt Oikocredit in ihren Leitlinien. Wucherzinsen und existenzbedrohende Geldeintreibungen sollen verhindert und gleichzeitig privates Geld für die Investition in Mikrokredite eingeworben werden. Auch die Weltbank und zahlreiche Entwicklungshilfeorganistionen setzen auf ähnliche Standards und wollen statt reiner Mikrokredite zusätzlich Mikrofinanzdienstleistungen etablieren: Denn ein Bankkonto, die Möglichkeit bargeldlosen Finanzverkehrs und ein Sparbuch sind für Milliarden Menschen auch 150 Jahre nach Friedrich Wilhelm Raiffeisen oft nur ein Wunschtraum.

Eine Bank für jedermann: Die Genossenschaftsidee von Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch wurde ein Erfolgsmodell. Noch immer gründen sich weltweit neue Genossenschaftsbanken.
Eine Bank für jedermann: Die Genossenschaftsidee von Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch wurde ein Erfolgsmodell. Noch immer gründen sich weltweit neue Genossenschaftsbanken.
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