Der »gute Zaun« soll weichen

Israel verstärkt auch an der Grenze zu Libanon die Sperranlagen

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Sperrzaun in Metulla im Norden Israels, der für viele Libanesen die einzige Möglichkeit ist, Verwandte im Nachbarland zu kontaktieren, soll durch eine Mauer ersetzt werden. Aus Sicherheitsgründen, sagt die israelische Regierung, die den Bau von Mauern zunehmend als Mittel zur Konfliktlösung sieht.

Es ist eine Anomalie im Nahostkonflikt, die dem im nördlichsten Zipfel Israels gelegenen Metulla eine gewisse Berühmtheit verliehen hat: Nur wenige Meter vom libanesischen Nachbarort Kfar Kila entfernt gelegen, war das nur etwa 1200 Einwohner zählende Dorf Standort des »guten Zauns«, eines Übergangs in einer sonst hermetisch abgeschotteten Grenze, über den vorwiegend christliche Libanesen zur Arbeit, zur medizinischen Behandlung und zu Verwandtenbesuchen nach Israel einreisen durften, bis israelisches Militär im Sommer 2000 aus dem Süden des Nachbarlandes abgezogen wurde.

Als der damalige Verteidigungsminister und heutige Präsident Schimon Peres 1976 das »Fatima-Tor«, wie der Übergang in Libanon genannt wird, öffnen ließ, tat er das aus politischem Kalkül: Er hoffte die christliche Bevölkerung in dem vom Bürgerkrieg zerrütteten Nachbarland auf die Seite Israels zu bringen. Für die Menschen dagegen wurde dieser Grenzabschnitt zum Symbol für ein bisschen Menschlichkeit in einem Konflikt, der sonst nur Menschenleben zerstört - ein Symbol, das auch zwölf Jahre nach der Schließung des Überganges eine Bedeutung hat: Tag für Tag nutzen Dutzende Libanesen die Nähe zu Israel, um durch lautes Rufen wenigstens ein paar Worte mit Verwandten auf der anderen Seite zu wechseln.

Damit wird es bald vorbei sein: Israels Militär hat angekündigt, den Zaun durch eine Mauer, mehrere Meter hoch und aus Fertigbetonteilen bestehend, zu ersetzen. Man wisse natürlich um die Bedeutung, die dieser Schritt für die Menschen habe, gesteht ein Sprecher des Militärs, aber in Kfar Kila sei in den vergangenen Monaten direkt an der Grenze ein mehrgeschossiges Gebäude gebaut worden, von dem Scharfschützen direkte Sicht auf Metulla haben: »Menschenleben stehen für uns an erster Stelle.«

Menschenrechtsorganisationen und die politische Opposition zweifeln allerdings an dieser Version. »Zum einen gibt es in Kfar Kila bereits seit vielen Jahren ein hohes Gebäude, ohne dass es dort, abgesehen vom Libanon-Krieg, Zwischenfälle gegeben hat«, sagt ein Sprecher von Schalom Achschaw (Frieden jetzt). »Zum anderen müsste die Mauer schon sehr hoch werden, denn sonst könnte man einfach darüber hinweg schießen.« Und auch Nissan Horowitz, Abgeordneter der linksliberalen israelischen Meretz-Partei, vermutet einen ganz anderen Hintergrund: Er könne sich vorstellen, dass die Regierung verhindern will, dass Hisbollah-Funktionäre und befreundete Politiker durch einen symbolischen Steinwurf in Richtung Israel für Medienbilder sorgen - so hatte im Oktober 2010 der iranische Präsident Machmud Ahmadinedschad durch einen Besuch an der Grenze für Aufregung in Israel gesorgt. Horowitz: »Die Regierung scheint den Bau von Mauern und Zäunen zunehmend als Weg zu sehen, die Probleme aus den Augen zu schaffen, mit denen sie nicht umgehen kann oder will.«

Ein Eindruck, der nicht von der Hand zu weisen ist: So entsteht bereits neben dem Sperrwerk im Westjordanland und dem im Zuge der zweiten Intifada gebauten Grenzzaun zum Gaza-Streifen seit einigen Monaten ein Zaun entlang der Grenze zu Ägypten. Die offizielle Begründung ist immer gleich: Die Anlagen sollen Angriffe auf Israel verhindern.

Nur: Im Falle des Sperrwerks aus Mauern und Zäunen im Westjordanland haben israelische Gerichte immer wieder festgestellt, dass der Verlauf zumindest in Teilen von migrationspolitischen Erwägungen diktiert wurde. Im Falle des Zaunes an der Grenze zu Ägypten sagen Regierungsvertreter sogar offen, dass es tatsächlich darum geht, die vielen Tausend Menschen aus Afrika fernzuhalten, die Jahr für Jahr die Grenze auf der Suche nach einem besseren Leben überschreiten.

Bis heute hat die Politik keine Lösung für diese Migranten in Form einer Asylgesetzgebung geschaffen. Es gab nicht einmal den Versuch, eine solche Gesetzgebung auf den Weg zu bringen. Stattdessen setzt die Regierungskoalition darauf, die sozialen Probleme der mehreren Hunderttausend afrikanischen Einwanderer durch deren Ausweisung zu lösen. Und das, obwohl selbst Sara Netanjahu, die Frau des Premiers, massiv für die Integration dieser Menschen eintritt. Denn ihr Ehemann scheint so fest an die problemlösende Kraft von Sperranlagen zu glauben, dass seine erste Reaktion auf den kürzlich von ultraorthodoxen Juden ausgelösten Konflikt in Beit Schemesch in dem Vorschlag bestand, den Ort in eine religiöse und eine säkulare Hälfte zu teilen. In der Mitte ein Zaun.

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