Der Doktor und die Machi
Im Makewe-Krankenhaus ergänzen die Mapuche Südchiles Schulmedizin mit ihrer traditionellen Heilkunst
Francisco Chureo schichtet Holz auf. »Ohne Feuer kann ich nicht erzählen«, sagt er. Der Rauch der feuchten Scheite zieht zum Strohdach hoch und imprägniert es von innen. Kein Regentropfen kommt an der Patina vorbei, schwarz und hart wie Metall wurden die Dachbalken davon. Chureo beobachtet belustigt unsere skeptischen Blicke in den Qualm. »Das ist gut so«, sagt er und lacht. »Warum? Dazu komm ich später. Ich mache es gerne spannend.« Und er lädt ein, Platz zu nehmen an den Flammen.
Draußen ist es still geworden. Das Leben der Ambulanz hat Uhrzeiten, von 8 bis 18 Uhr, und die sind gerade vorbei. Nur das Feuer knistert in der Ruka. Das traditionelle Haus der Mapuche steht gleich neben der Klinik. Hier werden Versammlungen gehalten, hier wird gefeiert, immer rund um die Feuerstelle mitten im Raum. Hier beginnt Francisco Chureo zu erzählen.
Die »Güter« der englischen Kolonialisten
»Das hier ist Mapuchegebiet«, sagt er und zeigt mit weiter Geste um sich. »95 Prozent der Menschen hier sind Mapuche. Vor über 100 Jahren, 1895, kamen Engländer nach Chile, Protestanten, um uns Mapuche einige Güter« - er malt Anführungszeichen in die Luft - »die uns ihrer Meinung nach fehlten, zu bringen: westliche Bildung, westlichen Glauben und westliche Medizin. Genau hier errichteten sie eine Kirche und eine Ambulanz«, sagt er. Die Gebäude stehen noch, Holzhäuser, sandig gelb gestrichen, heute mit 40 Betten und der Ruka auf blühender Wiese.
»Damals, 1895, begann unser Niedergang«, fährt Chureo fort. »Schade, dass die englische Kirche nicht die gegenseitige Ergänzung ihres und unseres Wissens suchte. Da hätte der eigentliche Reichtum gelegen. Aber so verloren wir unsere Kultur und erkrankten an Krankheiten, die wir vorher nicht hatten: Diabetes, Schlaganfall, Bluthochdruck. Auswirkungen der Winkisierung, wie wir sie nennen. »Winka«, übersetzt er, »seid ihr für uns, die Nichtmapuche.«
Es ist sieben Uhr morgens. Vor der Ruka sind erste Schritte zu hören, der Krankentransport rückt aus, die Patienten aus umliegenden Dörfern zu holen, die nicht selbst kommen können. 1999 hatte sich das Blatt für Makewe gewendet. Das Krankenhaus, damals halb verrottet, ging in die Verwaltung der Mapuche über. »Wir sahen, dass unsere Menschen krank waren und sahen warum - weil wir unsere Kultur und damit unser Gleichgewicht verloren haben. Das wollten wir ändern«, hatte Chureo abends erklärt. Chiles Regierung ist gesetzlich verpflichtet, den indigenen Einwohnern bei der Wahrung ihrer Kultur zu helfen. So gründete Chureo die Indigene Vereinigung für Gesundheit Makewe-Pelale und schlug dem Staat ein Experiment vor. Dieser willigte ein. »Die Mapuchemedizin war in Gefahr auszusterben, aber jetzt wird sie nie wieder in Vergessenheit geraten. Wir arbeiten hier interkulturell mit westlicher Medizin und Mapucheheilkunde«, so Chureo.
Punkt acht bezieht Jorge Blanco von der Indigenen Vereinigung seinen Platz am Tisch im Wartezimmer der Ambulanz. Eine junge Frau, die aus dem Sprechzimmer der Hebamme kommt, steuert auf ihn zu. »Ich möchte zu einer Machi«, sagt sie und Blanco blättert in den Listen. Er ist in Makewe zuständig für den Kontakt zu den Mapuche-HeilerInnen. »Die Machi arbeiten nicht im Krankenhaus«, sagt er. »Sie brauchen die Natur. Viereckige Wände schließen sie nur ein. Sie heilen dort, wo sie ihren Rewe, ihren Altar haben. Dort bringen wir die Patienten hin, die dies wünschen.« »Die Mapuchemedizin geht in erster Linie an die Ursachen, während die westliche die Symptome verarztet«, hatte Chureo erklärt.
Elf Machi gibt es mittlerweile wieder im Makewegebiet. Für Chureo ein Zeichen, dass sich die alte Kultur wieder etabliert. »Die Menschen erkennen heute ihre Heiler und Medizin wieder an. Damit sind wir schon gesünder als gestern«, sagt er. Machi zu werden, ist eine Gabe, die man erhält. Dann erfolgt jahrelange Ausbildung. Die Heilerinnen, in ihrer Mehrzahl Frauen, sind eng ins Dorfleben eingebunden. Hier steht ihre Ruka, hier haben sie ihren Altar mit den Gaben der Natur, hier fertigen sie die Medikamente und rufen die Götter und Geister für die Heilung an. Ob Kartoffeln, Feuerholz oder Geld - anders als in öffentlichen chilenischen Krankenhäusern wie Makewe, wo die Behandlung gratis ist, gehören Gaben zu jedem Patientenbesuch, denn die Machi stellt ihr Leben der Heilung zu Verfügung. Damit ist es Ehrensache, darauf zu achten, dass es ihr an nichts mangelt.
Und bei den Ärzten? Jorge Blanco schaut betreten drein. Eine Kluft tut sich auf zu den Ideen des Projekts, auch wenn Makewe mittlerweile Nachahmer in Chile gefunden hat. »Die Ärzte werden vom Gesundheitsministerium eingesetzt. Die meisten kommen nicht, weil sie das Projekt interessiert und eigene Ärzte können wir nicht stellen, denn kaum ein Mapuche hat diese Ausbildung«, erklärt er. Nur gut ein Drittel der Ärzte engagiert sich für das Projekt, zwei Drittel machen ihre Arbeit, ohne auf das Konzept einzugehen, schätzt Blanco. Der Nachmittag senkt sich nieder. In der Ruka wird das Feuer wieder geschürt. Alfonso Quirúa, der Mann für alles auf dem Gelände, schiebt die brennenden Scheite zur Seite und wühlt die Asche auf. Seit Jahren arbeitet er in Makewe. Don Alfonso ist Winka, seine Frau Mapuche. »Ich mag die Mapuche«, sagt er. »Die haben schöne Werte, die wir ganz vergessen haben. Für sie liegt alles in der Natur und Respekt ist die Grundlage für alles, auch für gesundes Leben. Selbst Bäume, die sie fällen, bitten sie um Erlaubnis und Entschuldigung.« Respekt ist fühlbar das wichtigste Wort in Makewe. Das Wertesystem der Mapuche hat Einfluss auf den Krankenhausalltag. Dem Kontakt zwischen Arzt und Patient wird absolute Priorität eingeräumt. Ein Gespräch über die Familie, die Saat, die Tiere geht jeder Behandlung vorweg. »Wie soll ich denn jemanden heilen, von dem ich nicht einmal weiß, wie er lebt?«, fragt Francisco Chureo, der sich wieder mit ans Feuer gesetzt hat. Viele Jahre hat er als Krankenwagenfahrer gearbeitet und war schockiert vom Verhalten der Ärzte. »Die sprechen zum Röntgenbild und schauen den Patienten nicht einmal an. Egal in welcher Situation und mit welcher Bildung, wir sind alles Personen«, sagt er. Dem gelernten Lehrer ist es ein Anliegen, die Priorität des Miteinanders zu vermitteln - erfolgreich. Makewe gewann in den vergangenen Jahren immer wieder den landesweiten Preis für die beste Behandlung in Chile.
Das wertvolle Wissen der Ahnen
Francisco Chureo knüpft derweil an das Gespräch von gestern an. »So manches, was in einer Kultur krank macht, kann woanders heilend sein, Speisen, Lebensstile, Getränke. Was mir hilft, muss nicht dem anderen helfen. Aber es kann. Deshalb sind die Ergänzungen ja so bereichernd und das Überstülpen von nur einem System ist so fatal«, sagt er und schiebt neue Zweige ins Feuer. Rauch und Feuer - Chureo grinst. »Ja, ich schulde noch eine Erklärung«, sagt er und blickt in die Flammen. Ihr Knistern begleitet Chureos letzte Erzählung. »Hier sind die Winter lang und verregnet. Wenn die Männer vom Viehhüten durchnässt zurückkommen, sammeln sie auf dem Weg Holz ein. Nicht irgendeines. Einen Ast Aromo, einen Scheit Pito, noch etwas Canelo. Mein Großvater machte es genauso. Oma schürte das Feuer und er setzte sich mit seinen nassen Kleidern daneben. Warum tust du das? Du wirst dir eine Lungenentzündung holen, fragte ich ihn. Opa lachte. Ich habe nie eine Lungenentzündung gehabt, sagte er und mit dampfender Kleidung erzählte er: Die Zweige haben antiseptische Substanzen, jedes Holz eine andere. Sie schenken mir ihren Rauch und damit härte ich mich ab. Das ist meine Medizin. Am Feuer, immer am Feuer gab er mir sein Wissen weiter.«
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