Ausfall, Verspätung, keine Auskunft
Rot-schwarze Regierungserklärung und Kritik der Opposition im Abgeordnetenhaus
Als Parlamentspräsident Wolfgang Wieland gestern kurz nach 13 Uhr den neuen Senator für Justiz und Verbraucherschutz Thomas Heilmann (CDU) vereidigte, raschelte die LINKE schon mit einem Antrag. Amtsvorgänger Michael Braun sollte danach seines Übergangsgeldes von rund 50 000 Euro für sein Dutzend Amtstage verlustigt gehen. Doch vor der Abstimmung nach Redaktionsschluss standen auf der Tagesordnung des Abgeordnetenhauses die Regierungserklärung des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) und eine Aussprache.
Setzt die Koalition auch die Wirtschaft als ersten Schwerpunkt, betonte der Senatschef doch demonstrativ die soziale Ausrichtung. Rot-Schwarz stehe für eine »menschliche Metropole«. Förderung der Wirtschaft und soziale Gerechtigkeit gehörten zusammen. Der Senat werde eingreifen, »wo es Verwerfungen gibt«.
Dazu passte wie kaum ein anderes das Thema Mieten. Es gelte, die soziale Mischung in der Innenstadt zu erhalten und »dämpfend auf die Mietentwicklung Einfluss zu nehmen«. Hier kündigte Wowereit den Neubau von 30 000 Wohnungen an und bekräftigte, dass die Zahl der Wohnungen in öffentlicher Hand auf 300 000 ansteigen solle.
Die Grüne-Fraktion habe »sich berappelt« und werde ihre Funktion als größte Oppositionsfraktion auch wahrnehmen, gab sich deren Vorsitzende Ramona Pop ambitioniert und kämpferisch. Sie beschwor unter Hinweis auf Michael Braun das Wiederaufleben der Großen Koalition der 90er Jahre.
SPD-Fraktionschef Raed Saleh versicherte hingegen, beide hätten nicht »in alten Mustern« verharrt. Es habe sich »etwas verändert in Berlin«, sagte sein Amtskollege Florian Graf (CDU). Er freute sich dabei aber über die Abwahl von Rot-Rot. Nur Sozialdemokraten und Christdemokraten seien zur Bildung einer handlungsfähigen Koalition in der Lage gewesen.
Eben das sah Fraktionschef Udo Wolf (LINKE) ganz anders: »Das ist ein bisschen wie S-Bahn: Ausfall, Verspätung und keine Auskunft.« Er warf Rot-Schwarz vor, sich auf dem auszuruhen, was Rot-Rot auf den Weg gebracht habe. Das sei eine Koalition von »Bequemlichkeit und Plagiat«. Ein Senator von der Linkspartei habe die Stadt wirtschaftspolitisch gut aufgestellt und bei der Absage an Studiengebühren wirke ebenfalls die LINKE nach.
Besonders Misstrauisch zeigte sich Udo Wolf, dass nun »zwei überzeugte Hartz-IV-Parteien miteinander regieren«. In Wohnungsfragen habe die Koalition kein Konzept, kritisierte er. »Verdrängung findet statt!« Schon länger sei der Wohnungsmarkt angespannt, doch alle Versuche einer Veränderung seien vom SPD-geführten Stadtentwicklungssenat blockiert worden. Nun werde die Lage als Zeichen des Aufschwungs schöngeredet. Neue Mehrheiten sah Wolf für die SPD bei einer nun mit der CDU hoffnungslosen Durchsetzung des Wahlalters 16: »Mit den Grünen, der LINKEN und den Piraten könnte das klappen.«
Das griff Fraktionschef Andreas Baum (Piraten) gerne auf und lockte mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit. Ein freies und gebührenfreies WLAN nur innerhalb des S-Bahn-Ringes und an zentralen Orten sei allerdings lediglich ein »Symbolprojekt«. Leidenschaftlich warb sein Fraktionskollege Christopher Lauer abschließend dafür, Gesetze über das Klein-Klein von Parteigrenzen hinweg im Parlament zu erarbeiten und nicht Referentenentwürfe aus den Verwaltungen einfach »abzunicken«. Er beklagte eine Machtkonzentration auf den Senat, die »nicht gesund« sei.
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