Signale stehen auf Ausschreibung
Senat sucht neue S-Bahn-Betreiber / Gewerkschaft warnt vor Zerschlagung des Unternehmens
Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) hat den Senat vor einer Teilausschreibung der S-Bahn gewarnt. »Die S-Bahn ist ein Verkehrsmittel und keine Spielmasse für einen Wettbewerbspoker«, sagte EVG-Vorstandsmitglied Reiner Bieck. Eine Teilausschreibung würde im Endeffekt »die Zerschlagung eines Verkehrssystems bedeuten« und brächte keine Verbesserung für Kunden oder Beschäftigte.
Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hatte am Donnerstag im Abgeordnetenhaus angekündigt, dass nach dem erwarteten Scheitern der Gespräche mit der Bahn AG über einen Kauf der S-Bahn durch das Land nun die Ausschreibung eines Teils des Streckennetzes vorbereitet wird. Der Verkehrsvertrag mit der Bahn läuft Ende 2017 aus, dann könnte ein neuer Betreiber den Verkehr auf dem S-Bahn-Ring und den südöstlichen Zulaufstrecken übernehmen. Eine weitere Option aus dem Koalitionsvertrag, die Direktvergabe des Gesamtnetzes etwa an ein kommunales Unternehmen, zum Beispiel die BVG, werde aber ebenfalls noch geprüft, so Daniela Augenstein, Sprecherin von Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD). Doch von Experten werden dieser Variante wegen rechtlicher Probleme eher geringe Chancen eingeräumt.
Die IHK forderte den Senat auf, mit der Teilausschreibung sofort zu beginnen. Bis zum Auslaufen des Verkehrsvertrages seien nur noch fünf Jahre Zeit, die die Wettbewerber aber brauchen würden, um neue Züge zu bestellen, so der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Christian Wiesenhütter. Auch die Grünen drängen auf rasches Handeln, da der Senat mit seinem »Täuschungsmanöver«, wie deren verkehrspolitischer Sprecher Stefan Gelbhaar die Verhandlungen des Senats mit der Bahn nannte, schon viel Zeit verspielt sei. Der Fahrgastverband Igeb erwartet, dass die Fahrgäste vom Wettbewerb profitieren. Der Regionalverkehr zeige, dass Ausschreibungen Qualitätsstandards erhöhen, sagte Igeb-Vize Jens Wieseke.
»Es ist nicht ersichtlich, was durch eine Teilausschreibung besser werden soll - weder für die Kunden noch für die Beschäftigten«, kritisiert dagegen Gewerkschafter Bieck. Die Berliner S-Bahn sei technisch »ein Verkehrsmittel aus einem Guss und muss deshalb auch aus einer Hand betrieben werden«.
Ähnlich sieht das der Berliner S-Bahn-Tisch, der über ein Volksbegehren die Privatisierung der S-Bahn verhindern will. »Durch private Betreiber werden die grundsätzlichen Probleme der S-Bahn nicht gelöst«, warnt Sprecher Rouzbeh Taheri. »Die wollen Geld verdienen und möglichst wenig investierten, zum Bespiel ins Personal.« Die Personalausstattung etwa werde man auch in den Ausschreibungsbedingungen kaum vorgeben können, »sonst bräuchte der Senat ja nur unsere Forderungen zu übernehmen«. Auch dass sich durch Konkurrenz die Qualität des S-Bahn-Verkehrs erhöht, glaubt Taheri nicht. Bei den Regionalbahnen gehe Wettbewerb oft auf Kosten der Beschäftigten. Außerdem habe das engmaschige S-Bahn-Netz andere Erfordernisse als der Regionalbahn-Verkehr. »Eine Aufsplitterung des S-Bahn-Betriebs unter mehrere Betreiber kann nicht gesund sein, das sieht man schon an den vielen Gesellschaften der Bahn.« Die Zerschlagung der S-Bahn werde deshalb keine Lösung für das S-Bahn-Chaos sein, sondern »die Verlängerung dieses Zustands«. Taheri mahnt den Senat, wenigstens das Volksbegehren ab zuwarten, »ansonsten muss die Ausschreibung womöglich annulliert oder wiederholt werden.«
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