Schauen wir in ihre Gesichter
Bilder und Erinnerungen sowjetischer Kriegsgefangener in der Technischen Universität
»Sie ist vom Ostteil in den Westteil der Stadt gewandert, hat den Bundestag gestreift, die Politik aber nicht erreicht«, stellt Günter Saathoff von der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung, Zukunft« zur Eröffnung der Ausstellung »Russenlager und Zwangsarbeit« in der Technischen Universität (TU) nicht ohne Bitterkeit fest. »Noch immer werden sowjetische Kriegsgefangene nicht angemessen gewürdigt und entschädigt.« Vor einem halben Jahr wurde diese erste umfassende Schau über sowjetische Kriegsgefangene in der Humboldt Universität gezeigt. Viele Berliner und Touristen kamen im Sommer ins Haus Unter den Linden und waren von den würdevollen Porträts der Gefangenen beeindruckt, von deren Briefen erschüttert. Nun zeigt der AStA der TU die Ausstellung des Vereins KONTAKTE-KOHTAKTbI e.V. im Hauptgebäude vor dem Audimax.
Der Vorgänger der TU, die »Königliche Technische Hochschule« war - wie auch die Humboldt Universität - an der Ausarbeitung des »Generalplan Ost« beteiligt, der die Vertreibung, Versklavung und Vernichtung der slawischen Bevölkerung Osteuropas beinhaltete. »Daher gab es 1946 auch eine Neugründung, um den Bruch mit der NS-Vergangenheit deutlich zu machen«, erklärt Gabriele Wendorf vom Präsidium der TU. »Die Geisteswissenschaften wurden die neue Fakultät I, denn auch Naturwissenschaftler sollten sich der gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sein.« Für Wendorf ist die kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus an der TU nach wie vor wichtig, und »die Ausstellung ist dabei ein wertvoller Beitrag, auch wenn das Thema nicht leicht ist«.
Der 26-jährige Attaché der russischen Botschaft weiß, dass für viele Überlebende des Großen Vaterländischen Krieges nach Kriegsende nicht die erhoffte Erlösung eingetreten ist. »Wenn wir das Material der Zeitzeugen aufarbeiten, können wir etwas gutmachen«, meint Sergey Tsvetkov. Er ist dem Verein Kontakte dankbar, weil er die vergessenen Opfer würdigt. Den Studenten an der TU rät er, »mit den wenigen noch Lebenden aus jener Zeit ins Gespräch zu kommen«. »Das sehe ich als Auftrag an uns als junge Generation«, sagt Tsvetkov.
Der Verein für Kontakte zu Ländern der ehemaligen Sowjetunion setzt sich seit Jahren für die Anerkennung der sowjetischen Kriegsgefangenen als Opfer des NS-Regimes ein. »Durch die Spendenkampagne erhielten über 7000 von ihnen Geldspenden, verbunden mit der Bitte um Verzeihung«, sagt Kurator Eberhard Radczuweit. Der Kulturstaatssekretär André Schmitz unterstützt »hinter den Kulissen« den Verein, »weil es ein Skandal ist, wie die Politik hier versagt hat«. Er besuchte die Ausstellung als interessierter Bürger und ist tief beeindruckt von den Fotografien. Die sind es auch, die zusammen mit den erschütternden Berichten von ehemaligen Kriegsgefangenen im Mittelpunkt der Ausstellung stehen. Der Berliner Fotograf Lars Nickel hat die Männer in ihren Heimatorten aufgesucht und porträtiert. Ihn berührten ihre Erinnerungen sehr und er wollte »unverfälschte Bilder dieser Menschen schaffen und somit ihre Geschichte einem größeren Kreis zugänglich machen«.
Das ist mit der Ausstellung »Russenlager und Zwangsarbeit - Bilder und Erinnerungen sowjetischer Kriegsgefangener« gelungen. Am Vorabend des Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus findet eine Podiumsdiskussion »Sowjetische Kriegsgefangene - Vergessene NS-Opfer?« im Hauptgebäude der TU statt (26.1., 19 Uhr, Hörsaal 0110). Am 20. Januar um 19 Uhr spricht Thomas Kuczynski in seinem Vortrag »Brotsamen vom Herrentisch. Eine beschämende Geschichte« über Profit aus Zwangsarbeit und die Zwangsarbeiterentschädigung (Kontakte-Geschäftsstelle, Feurigstraße 68, 10827 Schöneberg). Aus Briefen der ehemaligen Kriegsgefangenen liest Eberhard Radczuweit am 2. Februar um 19 Uhr (Trinitatis Gemeindehaus, Leibnizstr. 79, Charlottenburg).
Ausstellung bis 10.2. (Finissage, 18 Uhr) im Hauptgebäude der TU Berlin, Straße des 17. Juni 135, www.asta.tu-berlin.de; www.kontakte-kontakty.de
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