Niemand will der EU »ihre« Piraten abnehmen
Deutsche Fregatte beschattet derzeit Seeräubermutterschiff
Bereits am Dienstag hatten Seeräuber vor Somalia versucht, das 154 Meter lange niederländische Spezialschiff »Flintstone« zu kapern. Der Angriff schlug fehl. An Bord des Rohrlegers war ein sogenanntes Vessel Protection Detachment. Die Bewaffneten trieben die Piraten in die Flucht. Sie zogen sich auf eines ihrer Mutterschiffe zurück. Immer häufiger solche schwimmenden Stützpunkte von der EU-Armada gesucht und identifiziert, um sie - wie es bei den Militärs heißt - zu »neutralisiert« oder bereits beim Ablegen an der somalischen Küste abzufangen.
Die im Seegebiet im Rahmen der EU-Operation »Atalanta« patrouillierende deutsche Fregatte »Lübeck« erhielt den Befehl, die Dhau näher in Augenschein zu nehmen. Doch die Piraten auf dem Frachtsegler zeigten wenig Neigung, ein bewaffnetes Team willkommen zu heißen. Nach Warnschüssen warnten die Freibeuter, sie hätten Geiseln in ihrer Gewalt.
Nun wurde es psychologisch. Elf Personen konnten an Bord des Mutterschiffs - das den passenden Namen »Mother« am Bug führt - gezählt werden. Die deutsche Fregatte hielt also respektvollen Abstand zum Piratenschiff - auch, um nicht selbst zum Ziel von Panzerbüchsen zu werden. Ein gewaltsames Entern scheidet aus, da die an Bord der Fregatte befindlichen Spezialkräfte für solche Lagen nicht befähigt sind. Es ist eben ein Unterschied, ob man im eigenen Hafen vor Politikern und Abgeordneten prahlt, oder ob man vor Somalia im scharfen Einsatz ist.
Das sollten sich all jene merken, die jetzt von Angriffen auf Landbasen der Piraten schwärmen. Während EU-Generale und Admirale an entsprechenden Operationsplänen arbeiten, wird in verschiedenen Bundestagsfraktionen darüber sinniert, wie eine entsprechende Ausweitung des rechtlich nach wie vor umstrittenen »Atalanta«-Mandats gefasst werden könnte, um die notwendige parlamentarische Mehrheit zu erreichen.
Die »Lübeck« beschränkt sich jedoch nicht nur aufs Beschatten. Am Mittwoch eröffneten Scharfschützen das Feuer auf ein an Deck liegendes Skiff. Mit solchen kleinen und schmalen Booten fahren die Piraten ihre Blitzangriffe auf zumeist gezielt ausgewählte, weil viel Lösegeld versprechende Frachter. Auch mit Hilfe des »Lübeck«-Bordhubschraubers zerschoss man den Rumpf des Skiffs.
Gestern wechselte die Dhau den Kurs. Sie hält nicht mehr auf die Insel Sokotra zu, sie fährt zur somalischen Küste. Am Wochenende, so die Berechnungen, wird sie da eintreffen. Womöglich versucht die Führung von »Atalanta« Spezialkräfte anderer Partner heranzuführen, die fit genug sind, den Kahn trotz Bedrohung möglicher Geiseln zu entern.
Der jüngste Vorfall zeigt erneut, dass weder EU noch NATO und USA, die einen mit »Atalanta« vergleichbaren Einsatz betreiben, ein Konzept zur politischen Lösung des kriminal-sozialen Problems haben. Nun gibt es sogar Unklarheiten über die Unterbringung und der Verurteilung von gefangenen Piraten. Die Seychellen weigerten sich entgegen bisheriger Gepflogenheiten jüngst, Gefangene zu übernehmen, die die dänische »Absalon« am 7. Januar beim Entern der Dhau »Al-Qashmi« gemacht hatte. Das von einer pakistanisch-iranischen Crew gefahrene Boot war zuvor gekapert und für weitere Raubzüge genutzt worden. Auch die Briten werden 14 Freibeuter nicht los, die die Royal Marines am Samstag festsetzten.
Im vergangenen Jahr waren 802 Mitglieder von Schiffsbesatzungen in Geiselhaft, im Jahr davor zählte man laut IMB-Bericht 1181. 2011 waren zehn Seeleute umgebracht worden. Obwohl die Bedrohung durch Piraterie vielerorts - vor allem im westafrikanischen Golf von Guinea - wächst, liegt der Gefahrenschwerpunkt weiter vor Somalia. Dort fanden von 439 im Jahr 2011 weltweit registrierten Angriffen 236 statt.
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