Die Leere nach dem Knast
Ohne gute Vorbereitung werden »Intensivtäter« in Freiheit häufig erneut straffällig
Das Leben hinter Gittern ist kein Zuckerschlecken. »Man muss sich durchschlagen«, sagt Jury*. »Beweisen, dass man kein Opfer ist.« Sonst gibt es permanent Stress mit den Mitgefangenen. Quälereien, Diebstahl von Einkäufen und Zelleninventar sind an der Tagesordnung. Unter der Dusche kann es zu »Stürzen« kommen, wenn man sich nicht behauptet. Die Hackordnung ist aus Sicht der Gefangenen klar. »Deutsche mit Russen gegen Türken und Araber«, erzählt Torben. In Ruhe gelassen wird, wer sich behauptet. Dabei sind Jugendliche wie Torben und Jury selbst nicht unbedarft. Im Gegenteil, sie zählen zu den sogenannten Intensivtätern, die mehrfach durch schwere Straftaten wie Raub und Gewaltdelikte aufgefallen sind.
Der Berliner Kriminologe Claudius Ohder beschäftigt sich seit Jahren im Auftrag des Senats mit dieser Gruppe junger Mehrfachstraftäter (siehe Kasten). Er hat ihre Akten gesichtet, die kriminellen Karrieren nachgezeichnet. Ohder trifft sich auch häufig mit den Jugendlichen selbst, führt Interviews. Aus diesem Material stammen auch die Einblicke Jurys und Torbens in den Knastalltag des Jugendstrafvollzugs. Sie zählten zu 30 »Intensivtäter«, die für die neueste Untersuchung Ohders Rede und Antwort standen.
Ziel der wissenschaftlichen Studie war es diesmal, die Verläufe der Haftzeit nachzuzeichnen und zugleich zu schauen, wie die hohe Rückfallquote in die Straffälligkeit nach dem Knast von »Intensivstraftätern« minimiert werden könnte. Zwar wird den als gefährlich eingestuften Jugendlichen von den Behörden besonders repressiv begegnet. Doch eine Lösung für deren Zukunft ist dadurch nicht gewährleistet.
Weil häufig die Vorbereitungen auf ein Leben nach dem Gefängnis bei den Jugendlichen nicht stattfindet, ist die Leere nach der Freilassung groß: Schulden für Handy und Krankenversicherungen haben sich aufgetürmt. »Es gibt keinen wirklichen Pfad, den sie langlaufen können«, beschreibt Ohder die missliche Lage. Aus Sicht des Forschers wäre es dagegen ideal, wenn die Chancen auf ein strafloses Leben verbessert würden. Durch eigene Wohnungen, berufliche Qualifizierungen und soziale Beziehungen, die bereits während der Gefängniszeit geknüpft werden können.
Der Senat will die Anregungen aus der Studie prüfen und gegebenenfalls Konsequenzen ziehen, sagt Innenstaatssekretär Andreas Statzkowski. *Name geändert
Intensivtäter
Als sogenannte Intensivtäter werden wiederholt strafrechtlich auffällige junge Straftäter von der Berliner Staatsanwaltschaft und Polizei klassifiziert - darunter nur wenige Mädchen. Im Jahr 2010 zählte die Staatsanwaltschaft 550 »Intensivtäter«. Der Kriminologe und Professor der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege, Claudius Ohder, untersucht seit Jahren das Phänomen. In Teilstudien versucht der Wissenschaftler, die Problematik aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Bereits erschienen sind Teil I (Auswertung von Akten der Abteilung 47 der Berliner Staatsanwaltschaft) und Teil II (Die Sicht vielfach straffälliger Jugendlicher sowie eine Auswertung von Schulakten). Gestern präsentierte Ohder nun den dritten Teil, der sich mit Haft- und Bewährungsverläufen beschäftigt. MK
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.