Moral im Zeitalter der Atombombe

Rosa-Luxemburg-Stiftung präsentierte einen beeindruckenden Brecht-Dokumentarfilm

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 2 Min.

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg stellt sich einen hohen Anspruch. Das bewies sie auch beim Neujahrsempfang am Dienstag. Erneut und erleichtert nahmen die Besucher zur Kenntnis, dass es möglich ist, sich vom Mainstream zu lösen.

Der Wissenschaftler und die Moral im Zeitalter der Atombombe, darum geht es in Bert Brechts Drama »Das Leben des Galilei«. 1978 hatte der DEFA-Dokumentarfilmer Kurt Tetzlaff zur Entstehung dieses Dramas einen Streifen gedreht. Der Film kam nun im voll besetzten Kinosaal des Potsdamer Filmmuseums zur Aufführung. »Und sie bewegt sich doch«, heißt der Film, der an Aktualität nichts eingebüßt hat. Proletarisierung an die Stelle von Feinsinn gesetzt, das ist eins der Klischees über die DDR. Doch dieser Staat war die Heimat vieler Antifaschisten, viele der besten deutschen Künstler haben hier gelebt und Werke auf einem Niveau geschaffen, das heute selten erreicht wird. Dies gehört zur Wahrheit dazu.

Man vernahm sie wieder, Brechts hohe und höhnische Stimme vor dem Ausschuss für unamerikanische Tätigkeit, man erfreute sich der Eleganz, mit der dieser wirkungsmächtigste deutsche Dichter des 20. Jahrhunderts stumpfen Angriffen begegnete, bevor er für den Rest seines Lebens nach Ostberlin zog. Das ist in Potsdam keineswegs ein Thema von gestern, denn Gesinnungsausforschung und -bewertung haben in Brandenburg gerade erneut Konjunktur, sie sind im Landtag Praxis.

Der Regisseur nahm Stellung zu seiner Arbeitsweise und zu den Arbeitsbedingungen in der DDR, wobei er auch nachdenkliche Töne anschlug. Als er einmal einen Dokumentarfilm über Dörfer in der Nähe von Leipzig drehte, die abgebaggert wurden, geriet er in eine DDR-typische Grenzsituation, erzählte er. Denn nicht nur, dass Tränen bei denen geflossen sind, die ihre Heimat verlieren sollten. »Einige haben sich das Leben genommen«, hatte ein Arbeiter vor der Kamera freimütig gesagt. »Wenn dieser Satz im Film bleibt, kann ich den Film nicht abnehmen«, soll Kulturfunktionär Pehnert gewarnt haben, ein Mann, der übrigens laut Tetzlaff keineswegs die Kunst gegängelt habe. Die Szene habe er herausgeschnitten, bekannte Tetzlaff. Dennoch, mit Blick auf das Gesamtergebnis: »Der Kompromiss hat sich gelohnt.«

Womit Tetzlaff wieder bei Brecht war, der in seinen »fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit« eben auch die »List« erwähnte, die nötig sei, um die Wahrheit unter die Leute zu bringen. »Es wäre gut, wenn Bertolt Brecht auf dem Theater wieder gespielt würde«, sprach Tetzlaff seinen Zuhörern aus dem Herzen. Zum Schluss mahnte der Regisseur: »Wir sollten mehr Fragen stellen, das Fragenstellen ist produktiv. Wir haben heute zu viele Antworten«.

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