Gefangen im Transit

Verbände fordern Verzicht auf Asylverfahren am Flughafen »Willy Brandt«

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.
Am Flughafen Schönefeld kam es wie hier 2009 immer wieder zu Protesten gegen Abschiebungen.
Am Flughafen Schönefeld kam es wie hier 2009 immer wieder zu Protesten gegen Abschiebungen.

Kirchen, Wohlfahrtsverbände, der Republikanische Anwaltsverband und die Flüchtlingsräte Berlin und Brandenburg forderten gestern, auf ein Flughafenasylverfahren am neuen Großflughafen »Willy Brandt« zu verzichten. Die Länder Berlin und Brandenburg seien in der Pflicht, den Bau des geplanten Abschiebegefängnisses sofort zu stoppen, hieß es in einer gemeinsam unterzeichneten Erklärung. Im November wurde dafür die Baugenehmigung erteilt. »So ein Schnellverfahren genügt nicht rechtsstaatlichen Standards. Es stellt das Schicksal von hilfesuchenden Menschen in den Hintergrund und reduziert Asylbewerber auf ein Sicherheitsproblem«, sagt Martin Stark von der Katholischen Kirche. Stattdessen sollten die Flüchtlinge einreisen und ein Asylverfahren im Landesinnern absolvieren dürfen.

Bei einem Flughafenasylverfahren dürfen Asylsuchende den Transitbereich des Flughafens nicht verlassen. Damit gelten sie juristisch als nicht in die Bundesrepublik eingereist. Sie müssen unmittelbar nach ihrer Einreise ihr Asylbegehren vortragen. Der Entscheider hat dann genau zwei Tage Zeit, darüber zu befinden.

Zu kurz sei das, findet Andreas Kaczynski vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, der selbst mit Flüchtlingen arbeitet. »Unsere Erfahrung sagt uns, dass Menschen oft Monate brauchen, um sich zu öffnen.« Das sei auch verständlich, denn Asylsuchende seien oft entwurzelte Menschen mit massiven gesundheitlichen Problemen und ohne Erfahrungen mit rechtsstaatlichen Strukturen. »Einem meiner Mandanten wurde es zum Verhängnis, dass er bei der Einreise dem Grenzbeamten gesagt hatte, er sei arm und darum geflohen«, erzählt Anwältin Berenice Böhlo. In der anschließenden Anhörung hätte er eingeräumt, ein vermögender Afghane zu sein. »Das sahen die Behörden als Widerspruch an und erklärten meinen Mandanten für unglaubwürdig«, sagt die Anwältin. Es hätte sie viel Mühe gekostet, zu erklären, dass die Erklärung bei der Einreise, arm zu sein, ein ganz normaler Reflex nach den Erfahrungen in Afghanistan sei. »Behörden zocken dort Leute ab, bei denen was zu holen ist.«

Böhlo hat selbst die Erfahrung gemacht, dass zwei Tage Entscheidungszeit oft nicht ausreichen, um solche Widersprüche zu klären. »Die Zeit ist auch zu kurz, um fachliche Gutachten einzuholen und reicht oft nicht einmal aus, einen vereidigten Dolmetscher hinzuzuziehen.«

Fehlentscheidungen in Asylverfahren können aber Menschenleben gefährden. Bernd Mesovic von Pro Asyl erzählte von zwei Eriträern, die nach ihrer Abschiebung aus dem Flughafengefängnis Frankfurt umgehend inhaftiert und gefoltert wurden. »Sie hatten Glück, dass sie erneut fliehen konnten und fanden dann in Deutschland Asyl.« In vielen Fällen könne so eine Fehlentscheidung in einem Schnellverfahren aber nicht korrigiert werden.

Nach Ansicht der Kritiker liegt es im Ermessen der Landesregierungen in Potsdam und Berlin, das Verfahren in Berlin-Schönefeld zu verhindern. »Die Bundesregierung braucht das Asylgefängnis in Schönefeld, um auf europäischer Ebene eine härtere Abwehrpolitik gegenüber Flüchtlingen glaubhaft durchsetzen zu können«, meint Beate Selders vom Brandenburger Flüchtlingsrat. Das hätte der Bund selbst auf eine parlamentarische Anfrage der Linkspartei eingeräumt. »Hier erwarten wir von Berlin und Brandenburg mehr Zivilcourage.« Selders zufolge habe Brandenburg anfangs gegenüber dem Bund europarechtliche Bedenken gegen das Schnellverfahren geltend gemacht, sei dann aber eingeknickt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.