»Ausschreibung verlängert S-Bahn-Chaos«

Initiative treibt Volksbegehren gegen Privatisierung voran

  • Bernd Kammer
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Wetter ist eigentlich prima, jedenfalls für S-Bahn-Bedürfnisse: Weder Schnee noch Frost bremst die Züge. Dennoch vergeht kaum ein Tag ohne Hiobsmeldung für die Fahrgäste: Gestern war es eine Signalstörung, die morgens für mehrere Stunden zu Einschränkungen auf den Linien S 5, S 7 und S 75 führte. Am Wochenende konnte die S 25 zwischen Teltow-Stadt und Hennigsdorf nur alle 20 statt alle zehn Minuten fahren. Grund: Mangel an U-Bahn-Fahrern.

»Das Chaos reißt nicht ab«, sagt Lucy Redler vom Berliner S-Bahn-Tisch. Dadurch und vor allem durch die Ankündigung des Senats zur Ausschreibung einzelner Strecken spürt die Initiative wachsenden Zuspruch für ihr Anliegen, per Volksbegehren »Privatisierung und Ausplünderung« der S-Bahn zu verhindern. Rund 32 000 Unterschriften hat sie in der ersten Stufe gesammelt, die Senats-Innenverwaltung prüft derzeit ihre Gültigkeit und ob das Verfahren überhaupt rechtlich zulässig ist. Danach müsste darüber das Abgeordnetenhaus entscheiden. Lehnt es die Gesetzesinitiative ab, könnte etwa im Sommer die zweite Stufe des Volksbegehrens eingeleitet werden. Rund 170 000 Unterschriften wären dann zunächst für einen Erfolg nötig.

Im Frühjahr könnte der Senat aber bereits die Teilausschreibung starten. Allerdings hat die SPD-Fraktion auf ihrer Klausur beschlossen, eine Arbeitsgruppe »Daseinsvorsorge« einzusetzen, die sich u. a. mit der Rekommunalisierung der S-Bahn beschäftigen soll. »Eine richtige Strategie ist da nicht zu erkennen«, findet S-Bahn-Tisch-Sprecher Rouzbeh Taheri. Er glaubt ohnehin nicht, das die Zeit zwischen Ausschreibung und Auslaufen des Verkehrsvertrags des Landes mit der S-Bahn 2017 dafür ausreicht, dass ein neuer S-Bahn-Betreiber bis dahin auch neue Wagen beschaffen kann. Nach Taheris Informationen sind dafür sechs bis sieben Jahre notwendig, der Senat spricht von etwa fünf Jahren. »Der Senat spielt nicht mit offenen Karten, allein die Zulassung neuer Züge dauert 40 bis 50 Monate«, so Taheri.

Erwartet wird, dass zuerst der S-Bahn-Ring mit den südöstlichen Zulaufstrecken ausgeschrieben wird. Rund 400 neue Wagen wären dafür nötig. Taheri hält es für unwahrscheinlich, dass sich dafür in so kurzer Zeit Hersteller finden. Deren Auftragsbücher seien voll, zudem hätten sie mit großen technischen Problemen zu kämpfen, spielte er u. a. auf den Talent 2 der Deutschen Bahn an. »Es könnte also passieren, dass es 2017 einen neuen Betreiber gibt, aber keine neuen Züge.« Durch die Ausschreibung werde das S-Bahn-Chaos eher verlängert, »weil sich der Senat nicht um die Lösung der tatsächlichen S-Bahn-Probleme kümmert«.

Eine Privatisierung des Unternehmens sei jedenfalls keine Lösung, so Taheri, weil Gewinnerwartungen immer zu Einsparungen führten. Auch Jörg Kronberg von der Eisenbahnergewerkschaft EVG, die ebenfalls der Initiative angehört, kann sich nicht vorstellen, dass »drei, vier Unternehmen, die ihren Aktionären Dividende schulden«, die Situation verbessern. »Mit mehren Betreibern wird es schwieriger - für die Berliner und die Beschäftigten sowieso.«

Taheri glaubt, dass auch eine Direktvergabe der Verkehrsleistung an ein öffentliches Unternehmen rechtlich möglich ist. Das EU-Recht lasse dies zu, wenn das Land »maßgeblichen Einfluss« auf dieses Unternehmen ausübt. »Hamburg hat gerade seinen Verkehrsvertrag mit der S-Bahn, der ebenfalls 2017 endet, um ein Jahr verlängert, um Zeit für die Bestellung neuer Züge zu bekommen.« Ähnlich könnte auch der Senat verfahren. Außerdem ist sich die Initiative sicher: »Wenn unsere Forderungen etwa nach mehr Personal auf den Bahnsteigen und der Anschaffung von mehr Zügen umgesetzt werden, wird es sich für keinen Privaten mehr lohnen, die S-Bahn zu kaufen.«

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