Rasen der Leidenschaft

Christian Wolter hat ein lesenswertes Buch zur Fußball-Geschichte Berlins verfasst

  • Hajo Obuchoff
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Vorwärts-90-Stürmer vor dem BBC-Tor; Ostern 1922
Ein Vorwärts-90-Stürmer vor dem BBC-Tor; Ostern 1922

1881 sollen auf dem Tempelhofer Feld die ersten Kicker Berlins gesichtet worden sein. Junge Leute jagten dort nach englischem Vorbild einem Ball nach. Die Rüpel hatten das Militärgelände besetzt, um den Ball mittels Fußstoßes durch ein Gestänge zu befördern. So etwa muss es sich dem unbedarften Zuschauer dargestellt haben, als aus Berliner Brachen »Rasen der Leidenschaften« wurden.

Unter diesem Titel ist ein Buch im Handel, in dem Christian Wolter 66 Berliner Fußballplätze und ihre Geschichte vorstellt. Dabei gelingt es dem Autor, neben einem Lexikon Berliner Bolzplätze auch Stadtgeschichte zu erzählen. Wir erfahren etwa, dass das nördliche Pendant des Tempelhofer Feldes, der »Exerzierplatz an der einsamen Pappel«, ebenfalls von Fußballern okkupiert wurde. Die einsame Schwarzpappel steht noch heute vor dem Jahn-Sportpark. Etwa 30 Meter ragt der historische Baum empor. Historisch nicht allein des Fußballs wegen, sondern weil sich unter seiner Krone während der Märzrevolution 1848 die Berliner zu ihrer ersten großen Massendemonstration trafen.

Andere Fußballplätze sind vergessen. Zum Beispiel die Olympia-Radrennbahn Plötzensee. An ihrer Stelle grünt heute eine Gartenanlage. Nur ihr Name Olympia erinnert an die Sportstätte, wo außer Radsportveranstaltungen auch Fußball heimisch war. Am 26. Februar 1922 sahen hier etwa 25 000 Menschen, wie Berlin gegen München 2:1 gewann.

Oder die legendäre Plumpe: von der ersten Heimstätte von Hertha BSC im einst schönsten Fußballstadion Berlins keine Spur mehr. Genauso wenig übrig ist vom Polizeistadion, später Walter-Ulbricht-Stadion, dann Stadion der Weltjugend - heute Baustelle, künftig Zentrale des Bundesnachrichtendienstes (BND).

Kurios das Schicksal des kleinen Ernst-Thälmann-Stadions in der Wuhlheide: Wildschweine untergruben permanent das Spielfeld. Nun wandeln dort Spaziergänger durch eine Art Legoland für Ossis. Es gibt auch streitbare Punkte in dem Buch. So zum Hans-Zoschke-Stadion in Lichtenberg. Das Stadion, einst Eiland im Herrschaftsareal von Erich Mielke, trotzte allen Einebnungs-Plänen des Stasi-Ministers. Der Autor begründet das mit fehlender Baukapazität. Dass Friedel Zoschke, die Witwe des Namengebers Hans Zoschke, der 1944 im Zuchthaus Brandenburg von den Nazis hingerichtet wurde, mit ihrem Veto erfolgreich gewesen sei, bezeichnet Wolter als eine »urbane Stasi-Legende«. Henry Berthy, Geschäftsführer vom hier ansässigen Verein Lichtenberg 47, meint dagegen, Friedel Zoschke hätte als Mitglied im Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer bei Erich Honecker genügend Rückendeckung gehabt. Immerhin saß der SED-Generalsekretär 1944 ebenfalls in Brandenburg ein. Und in solchen Dingen galt Honecker durchaus als sentimental.

Natürlich schreibt Wolter ausführlich über das Olympiastadion. Über den 1. FC Union und sein Fußballdomizil »An der Alten Försterei« lässt er den Union-Experten Gerald Karpa berichten. Nicht zuletzt finden sich im Buch sehr viele Fotos, vor allem die historischen sind äußerst interessant.

Für Statistik-Freaks: Im Anhang findet der Leser eine reiche Aufstellung über die wichtigsten Spiele, die in Berliner Stadien in den vergangenen gut 100 Jahren über den Rasen gegangen sind und eine nahezu vollständige Auflistung aller Fußballplätze von 1910 bis heute in Berlin und seinen Vororten.

Das Werk ist wirklich eine Fundgrube für Fans und Freunde Berliner Stadtgeschichte.

Rasen der Leidenschaften - Die Fußballplätze von Berlin Geschichte und Geschichten, von Christian Wolter, Edition Else 2011, ISBN 978-3-00-036563-8,

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