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Langsambaustelle Stuttgart

Vor zwei Jahren begannen die Bauarbeiten zum Bahnhofsprojekt S21 - seitdem hat sich viel verändert

  • Gesa von Leesen
  • Lesedauer: 3 Min.
Begleitet von nur schwachen Protesten hat in dieser Woche der Abbruch des Südflügels des Stuttgarter Hauptbahnhofes begonnen. Am heutigen Donnerstag ist es genau zwei Jahre her, da die Bauarbeiten offiziell gestartet wurden - ein Rückblick.
Einen Prellbock hoben sie vor zwei Jahren an, um symbolisch den Baubeginn für das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 zu demonstrieren: Bahnchef Rüdiger Grube, Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) und der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU). Dass diese Prellbock-Aktion für den unterirdischen Durchgangsbahnhof der Beginn des politischen Endes von Mappus werden würde, hatte damals noch keiner geglaubt.

Mappus ist weg, doch Stuttgart 21 kommt. Wenn auch viel langsamer als geplant. Dafür haben Tausende von Gegnern des auf 4,1 Milliarden Euro bezifferten Projektes gesorgt. Derzeit wird der Südflügel des alten Stuttgarter Sackbahnhofes abgerissen. In den nächsten Tagen sollen mit einem großen Polizeieinsatz die Zelte von S21-Gegnern aus dem Schlossgarten entfernt werden, damit 167 Bäume gefällt oder versetzt werden können. Mancher Widerständler mag hoffen, dass dieser Einsatz wieder Zigtausende auf die Straße bringt. Denn derzeit sind die Proteste gegen Stuttgart 21 mit ein paar tausend Demonstranten eher müde.

Ihren Höhepunkt mit bis zu 100 000 Demonstranten erreichten sie nach dem legendären Polizeieinsatz am 30. September 2010. Wasserwerfer der Polizei sorgten damals für Hunderte Verletzte. Die Bilder entsetzten republikweit und spätestens da wurde dem Ministerpräsidenten bewusst, dass er mit seiner Rambo-Taktik scheitern könnte. Stefan Mappus wandelte sich plötzlich zum Vermittler und rief die Schlichtung unter Heiner Geißler ins Leben. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik setzten sich Gegner und Befürworter eines Projektes an einen Tisch, um - angeblich - gleichberechtigt Fakten zu diskutieren. Doch der alte CDU-Politiker Geißler ließ seine Partei nicht im Stich und befand nach tagelangen Sitzungen, dass Stuttgart 21 zwar nicht grade toll sei, aber gebaut werden sollte.

Die Montagsdemos waren zu diesem Zeitpunkt immer noch groß. Dann ging es um die Landtagswahl am 27. März 2011. Alleine die Grünen und die LINKE waren gegen S21, die anderen Parteien dafür. Das Wunder geschah. Nach 58 Jahren CDU-Herrschaft wurde ein Grüner Ministerpräsident. Winfried Kretschmann regiert seitdem zusammen mit der SPD. Weil die für S21 ist, organisierten die beiden Parteien eine Volksabstimmung. Auf diese Weise befriedeten sie den Konflikt in der Koalition und hofften auf Befriedung in der Bevölkerung. Der Plan ging auf. Bei der Abstimmung am 27. November 2011 sprachen sich 59 Prozent für den Weiterbau von S21 aus, 41 Prozent waren dagegen.

Seitdem ist der Widerstand deutlich schwächer geworden. Ob er wieder aufflammt, wenn die Bäume gefällt werden, bleibt abzuwarten. Eine Schar Unermüdlicher wird sicherlich nicht aufhören, Baustellenzufahrten zu blockieren. Andere sorgen mit Ein- und Widersprüchen vor Gericht für Verzögerungen. Stuttgart 21 noch teurer machen, lautet die Devise, um das Projekt über die Kosten zu Fall zu bringen.

Die Grünen in der Landesregierung tun sich schwer, Ministerpräsident Kretschmann äußert sich möglichst wenig zu den Bauarbeiten. Die werden die Stuttgarter auf jeden Fall noch lange begleiten. Bahnchef Grube verkündete in diesen Tagen, dass der Tiefbahnhof wohl doch erst 2020 fertig wird - und nicht wie ursprünglich geplant 2019.


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