Initiativen klagen Untätigkeit gegen Rechts an
Rund 400 Besucher auf Veranstaltung zum neonazistischen Label »NW-Berlin« in Kreuzberg
Wie in der US-amerikanischen Fernsehserie CSI muss man sich die Tatortarbeit der Berliner Polizei nach rechtsextremen Anschlägen offenbar nicht vorstellen. »Da werden keine Handschuhe ausgepackt und Spuren gesichert«, sagt der Rechtsanwalt Sven Richwin. Nach fünf Brandanschlägen im Juni 2011 hatte Richwin, der Opfer vertritt, selbst zum Hörer gegriffen und beim Landeskriminalamt (LKA) angerufen. Er wollte die Ermittler alarmieren und Strafanzeige stellen. Statt der Anti-Rechts-Experten vom LKA kamen jedoch nur zwei Beamte des lokalen Abschnitts zum Tatort - und das erst nach zwei Stunden. Den Anwalt wundert es deshalb nicht, dass bis heute kein einziger Täter zu den neonazistischen Anschlägen geschnappt werden konnte und alle Verfahren eingestellt wurden.
Doch die Betroffenen des rechten Terrors wollen die Untätigkeit und das dilettantische Vorgehen der Polizei und der Staatsanwaltschaft nicht mehr länger hinnehmen. Rund 400 Interessierte kamen am Dienstagabend in Kreuzberg zu der Veranstaltung »Es brennt! Wer stoppt Neonazis in Berlin?«, die von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin (MBR), Aktion Sühnezeichen Friedensdienste und dem Antifaschistischen Pressearchiv (Apabiz) organisiert worden war.
Interaktive Zeitleiste: Anti-Antifa-Aktivitäten in Berlin 2010/2011
Während die Behörden bis hin zum Verfassungsschutz zu den Täterstrukturen im Dunkeln tappen, waren sich die Experten auf dem Podium im voll besetzten Festsaal Kreuzberg dagegen ziemlich sicher, wo die Verursacher der Gewalt zu suchen sind. Nämlich im Umfeld des rechtsextremen Dachverbandes »Nationaler Widerstand Berlin« (NW-Berlin). »Unter diesem Label haben sich der harte Kern der Berliner Neonazis und seine Kader versammelt«, erklärt Ulli Jentsch vom Apabiz. Zu diesem Kreis zählen ein, zwei Dutzend Personen, die sich seit Jahren auch mit der sogenannten Anti-Antifa-Arbeit beschäftigen und vermeintliche Gegner ausspähen. Häufig werden beispielsweise bei Prozessen Adressen mitgeschrieben. Auf der gleichnamigen rechtsextremen Internetseite »NW-Berlin« finden sich die Betroffenen (siehe Kasten) dann in »Feindeslisten« im Netz wieder. Versehen sind diese mit der Drohung, »Aktiv zu werden«. Neben Einzelpersonen werden auch viele alternative Läden aufgeführt.
Wie konkret die Gefahr ist, zeigen die Zahlen der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus: »Die Hälfte der Einrichtungen und Personen, die Opfer von Anschlägen geworden sind, werden entweder auf NW-Berlin oder den Unterseiten genannt«, sagt Bianca Klose von der MBR. »Seit November 2009 gab es laut MBR über hundert rechte Attacken.« Klose spricht in diesem Zusammenhang von einer »Vorstufe des Terrors«. Wenn es so weitergeht, sagt sie, könne das bald zu einem Unglück führen und eventuell sogar Menschenleben kosten.
So einer Katastrophe ist der Neuköllner Ableger der Sozialistischen Jugend Deutschlands - Die Falken - nur knapp entgangen: Allein zwei Mal verübten Neonazis einen Brandanschlag auf das vereinseigene Anton-Schmaus-Haus. »Eine Nacht vor dem ersten Anschlag im Juni 2011 hat da noch eine Kindergruppe in dem Haus geschlafen«, sagt Mirjam Blumenthal von den Falken. Nach dem zweiten Anschlag im November 2011 hat inzwischen auch die Versicherung gekündigt. Der Jugendverband und seine Betreuer stehen nun da und müssen den Kindern und Jugendlichen erklären, wie es sein kann, dass sich Nazis den demokratischen Raum quasi freibrennen. Als Folge aus Sicherheitsgesprächen mit der Kripo wird das Anton-Schmaus-Haus jetzt massiv gesichert.
Überhaupt ging es am Dienstagabend häufig um Konsequenzen aus den Übergriffen. Angesichts der Unwilligkeit der Behörden gab es viele Tipps, wie sich Opfer rechter Gewalt besser schützen können. Wer Anzeige stellt, sollte sich etwa vorher mit der Opferorganisation Reach Out absprechen. Dann sei auch sichergestellt, dass in den Akten keine Adressen auftauchen. Der Rechtsanwalt Sven Richwin empfahl darüber hinaus, sich mit einer »konsequenten Anwendung des Notwehrrechts« auseinanderzusetzen.
Die Neonazis aus dem Umfeld des »NW-Berlin« schicken sich unterdessen an, den Landesverband der NPD zu übernehmen. Am Sonnabend will sich der Rechtsextremist Sebastian Schmidtke zum Landesvorsitzenden wählen lassen. Schmidtke erklärte jüngst, er weise zurück, dass er verantwortlich für die Homepage »NW-Berlin« sei oder bei dieser mitarbeite. Antifaschistische Proteste gegen den Landesparteitag sind für 11 Uhr am U-Bahnhof Residenzstraße in Reinickendorf geplant.
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