Väterchen Frost hat die Stadt fest im Griff

Minusrekorde und klirrende Kälte bestimmen das Wetter auch in den nächsten Tagen

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 3 Min.
Claudia Staak friert. Die Gasetagenheizung ihrer Kreuzberger Altbauwohnung macht seit zwei Tagen nicht mehr mit: Offenbar ist Luft in der Leitung. Angesichts der Kälte muss sich die Doktorandin der Agrarwissenschaften am Schreibtisch kräftig einmummeln und einen Pullover mehr als sonst anziehen. Arbeiten ist so allerdings kaum mehr möglich. Und der bei der Hausverwaltung alarmierte Service lässt auf sich warten. Nur ein Einzelfall?
Die Spree friert zu: Eisbrecher Seelöwe versucht, die Schifffahrtswege offen zu halten.
Die Spree friert zu: Eisbrecher Seelöwe versucht, die Schifffahrtswege offen zu halten.

Eine »nd«-Blitzumfrage bei den großen städtischen Wohnungsgesellschaften ergibt, dass es aufgrund der Kälte bisher nicht zu spürbar gehäuften Schwierigkeiten mit Heizungen in Berlin kommt. »Bei uns gibt es keine Probleme«, sagt etwa Lutz Ackermann von der Degewo. Auch bei anderen Wohnungsbaugesellschaften sind auf Nachfrage keine Auffälligkeiten bekannt, die mit den krassen Minustemperaturen zu tun haben.

Gänzlich anders als bei den Wohnungsunternehmen sah es nach der kältesten Nacht des Jahres mit Temperaturen von teilweise minus 20 Grad gestern Morgen bei den Paketzustellern der Deutschen Post aus: »Rund 40 Prozent unser Lieferwagen sprangen nicht an«, berichtet einer der Zusteller aus dem Südwesten dem »nd«. Über zwei Stunden verzögerte sich die Auslieferung durch die witterungsbedingten Ausfälle. Aus Angst, seinen Job zu verlieren, möchte der Angestellte seinen Namen allerdings nicht in der Zeitung lesen. Der Paketzusteller, der aufgrund der Probleme mit seinen Kollegen massiv Überstunden schieben musste, um die Pakete noch am selben Tag auszufahren, führt die Ausfälle auf die neue Marke der Lieferfahrzeuge zurück. »Früher wäre das nicht passiert«, sagt er. Da hatten wir Qualitätsfahrzeuge.

Die Starterschwierigkeiten der Lieferfahrzeuge, die der Mitarbeiter bei der Deutschen Post erlebt hat, sind indes keine Besonderheit. Seit die Kältewelle Berlin erreicht hat, schieben die Mitarbeiter des Allgemeinen Deutschen Automobil-Club (ADAC) Sonderschichten. »Wir sind komplett ausgelastet«, sagt eine Mitarbeiterin der ADAC-Pannenhilfe Region Ost dem »nd«. Allein in Berlin stieg die Zahl der Pannenhilfen nach Angaben der Mitarbeiterin zu Beginn der Woche auf 1100 Einsätze. Dabei ging es in zwei Drittel der Fälle um Probleme mit Batterien und Starterschwierigkeiten. Zum Vergleich: Eine Woche zuvor, am 23. Januar, waren nur 690 Panneneinsätze nötig. Für die Betroffenen verlängerte sich durch die gestiegene Zahl der Einsätze auch die Wartezeit. Inzwischen dauert es im Schnitt 100 Minuten, bis die Gelben Engel kommen.

Erhöhte Unfallzahlen sind laut Polizei bisher durch die Kälte und den Dauerfrost nicht zu verzeichnen. An einigen Stellen in der Stadt werden allerdings Gullydeckel durch das darunter liegende gefrierende Schmutzwasser-Gemisch nach oben gedrückt.

Probleme gab es am gestrigen Morgen auch bei der Berliner S-Bahn. »Wir hatten eine Weichenstörung im Bereich Treptower Park, wovon die S41 und S42 betroffen waren«, sagt S-Bahn-Sprecher Burkhard Ahlert. Die Züge fuhren eine Weile unregelmäßig und verspätet. Auch an einem Stellwerk in Spandau war eine Weiche eingefroren, wovon der Fern- und Regionalverkehr betroffen war. Im Vergleich zum vorherigen Winter halten sich die technischen Schwierigkeiten bei der Deutschen Bahn und deren Tochterunternehmen jedoch stark in Grenzen.

Am stärksten betroffen von der harschen Kälte sind weiter die Menschen ohne Obdach. Wie berichtet sind die Notunterkünfte seit Tagen überbelegt. Die Grünen forderten deshalb, die Zahl der Betten zu erhöhen. »Die zur Verfügung stehenden Plätze reichen nicht aus, um allen Frierenden und um Unterkunft bittenden Menschen zu helfen. Mindestens 70 zusätzliche Plätze sind erforderlich«, kritisierte der sozialpolitische Sprecher der Grünen, Manfred Beck.

Auch in den nächsten Tagen werde der strenge Frost anhalten, sagt Hans-Werner Voß vom Deutschen Wetterdienst (DWD). Väterchen Frost hält die Stadt also weiter fest im Griff.

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