Fackelzüge gegen den »Volkstod«
Offenbar von Sachsen aus verbreitet sich eine neue, theatralische Demokultur unter Neonazis
Es sind die stets gleich aussehenden Szenen, welche sich in nur wenige Minuten dauernden professionell erstellten Filmbeiträgen auf Videoportalen im Internet finden lassen. Eine größere Gruppe Menschen marschiert zu nächtlicher Stunde durch die Straßen einer Innenstadt. Die Gesichter sind durch weiße Theatermasken verdeckt, viele der Demonstranten tragen lodernde Fackeln in den Händen. In vorderster Reihe wird ein Transparent in die Höhe gehalten, welches vor dem »deutschen Volkstod« warnt. Untermalt werden diese Aufzüge durch theatralische Orchestermusik. Seit dem Aufkommen dieser Aktionsform im vergangenen Jahr hat es in Deutschland mindestens 17 derartige nicht angemeldete Demonstrationen einer Gruppierung gegeben, die sich selbst die »Unsterblichen« nennt.
Berichte gibt es aus der ganzen Republik, doch der Schwerpunkt scheint in Sachsen zu liegen. Allein hier fanden 2011 acht solcher illegaler Aufzüge statt, in Bautzen, Leisnig, Rodewisch und Stolpen. Eine Unterbindung seitens der Polizei war in der Vergangenheit oft nicht möglich. Da die Gruppen meistens in der Nacht unterwegs sind und ihren Fokus besonders auf Kleinstädte legen, sind die Maskierten meist schnell wieder verschwunden. Es bleiben abgebrannte Fackelreste und irritierte Anwohner.
Allerdings geht dieser Plan nicht immer auf. Im Juli 2011 wurde ein Fackelaufmarsch von rund 60 Maskierten im hessischen Gießen bereits nach wenigen Metern gestoppt. Auch ein Aufmarsch in Stolpen blieb nicht ohne Folgen. Mitte Januar führten Polizeibeamte in Sachsen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen Razzien in 44 Wohnungen und Garagen durch und beschlagnahmten weiße Masken, Propagandamaterial sowie Computertechnik. In der Szene sorgten die Durchsuchungen für große Aufregung, Betroffenen werden im Internet Verhaltenshinweise gegeben.
Das Auftreten der »Unsterblichen« ist ein Wechselspiel aus mystisch angehauchten Straßenaktionen und Selbstinszenierung im Internet, womit sich die Gruppierung deutlich vom Mief anderer nationalistischer Kräfte abzuheben versucht. Ideologisch unterscheiden sie sich jedoch kaum von den »Kameradschaften«. So wurden von den Teilnehmern der unangemeldeten Demonstration in Bautzen laut der Aussteigerorganisation EXIT Parolen wie »Nationaler Sozialismus jetzt!«, »Frei, sozial und national!« skandiert.
Laut Angaben aus dem Medienprojekt »Recherche Ost« ist eine personelle Verbindung zwischen den »Unsterblichen« und den Kameradschaften wahrscheinlich. Auf ihrer zentralen Internetseite beschreiben sich die »Unsterblichen« selbst als Gruppe von jungen Deutschen, »die sich bundesweit auf öffentlichen Plätzen zusammenfinden, um auf das Schandwerk der Demokraten aufmerksam zu machen.« In ihren Argumentationen gegen eine angebliche Überfremdung berufen sie sich auf eine krude Abstammungslehre. Darauf aufbauend positionieren sich die »Untersterblichen« klar als antieuropäisch und sehen in der Demokratie die Ursache für einen fortschreitenden Niedergang des Landes.
Wo die Ursprünge der »Unsterblichen« liegen, ist nicht eindeutig zu klären. Laut EXIT Deutschland könnte es sich bei einer Gruppe »Spreelichter« aus Brandenburg um die Vordenker handeln. Fotografien der Gruppe aus dem Jahr 2010 zeigen Szenen, wie man sie aus den späteren Videos kennt. Auch Sprache und Inhalt der Botschaften gleichen sich.
Ein weiterer Ursprung könnte zudem in Niedersachsen bei einer Gruppe namens »Besseres Hannover« zu finden sein, heißt es bei »Recherche Ost«. Zum Netzwerk der »Unsterblichen« gehören mehrere lokale Gruppen im gesamten Bundesgebiet. Auffällig ist ihre hohe Professionalität auf der Straße und im Internet. Gerade diese Mischung aus modernem Auftreten und offen rassistisch-nationalistischer Ideologie macht die »Unsterblichen« gefährlich.
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