Kampfzone Elternabend

Sönke Wortmann inszeniert »Frau Müller muss weg« im Grips Theater

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.
Aufstand der Überfürsorglichen
Aufstand der Überfürsorglichen

Fünf Menschen, eine Mission: »Frau Müller muss weg«. In Lutz Hübners gleichnamigem Stück, Untertitel »Komödie über einen Elternabend«, steht die Schuldige von Anfang an fest. Ausgerechnet im letzten Grundschuljahr, in dem die Noten über die weitere Schulkarriere - Realschule oder Gymnasium? - entscheiden, sind viele Kinder erheblich abgesackt. Das kann nur an der Klassenlehrerin Frau Müller liegen, ist man sich einig - und so treffen sich fünf Eltern als Speerspitze der anderen, um die ungeliebte Pädagogin zu schassen. Bald wird mit harten Bandagen gekämpft.

Es ist ein äußerst dankbares Thema, das Dramatiker Hübner da aufgegriffen hat, und es trifft exakt den Nerv der Zeit. In 14 Theatern von Schwerin bis Stuttgart sorgte die fein beobachtete Satire, eigentlich ein Auftragswerk für das Staatsschauspiel Dresden, für volle Zuschauerräume, und auch im Grips am Hansaplatz ist die Vorfreude am Premierenabend förmlich mit Händen zu greifen. Inszeniert hat der bekannte Filmregisseur Sönke Wortmann, der nicht nur Vater dreier Kinder ist, sondern sich mit pointierten Gesellschaftskomödien wie »Der bewegte Mann« als erste Wahl empfohlen hat.

Zu Recht: Die Umsetzung des Stücks gelingt ihm bestens, zumal er ganz auf die hervorragende Vorlage vertraut. Mit gutem Gespür für Komik und Timing lässt er fünf grundverschiedene Elterntypen und die engagierte Frau Müller (Regine Seidler), Typ solide Grundschullehrerin mit Herz und Autorität, im herbstlich geschmückten Klassenzimmer aufeinanderprallen, dass es nur so kracht. Unterm bunten Mobile brechen Konflikte auf zwischen Karrierefrau und Hartz-IV-Empfänger, heiler Bio-Welt und Arbeitszwängen und natürlich Ost und West. Denn als die hehren Elternvertreter nach einigem diplomatischem Geseiere die Lehrerin mit ihrem Entschluss konfrontiert haben, sie solle die Klasse doch bitte abgeben, wehrt die sich - und entschwindet dann erst mal.

Genug Zeit für einen Kleinkrieg zwischen den versammelten Müttern und Vätern, die in Wirklichkeit nichts anderes wollen als jeweils den eigenen Sprössling aufs Gymnasium zu bugsieren. Fein beobachtet und gerade so überzeichnet, dass die Figuren nicht zur Karikatur werden, führt Regisseur Wortmann typische Klischee-Eltern mit hohem Widererkennungswert vor. Da ist das Ehepaar Jeskow, vor Kurzem aus Köln nach Berlin gezogen, deren Bild von ihrem hochbegabten Sohn Lukas derb getrübt wird: »Klassenkasper mit ADS«. Da stößt die sachliche Ministerialbeamtin Höfel, die ihre Tochter eher kühl einschätzt (»nicht die hellste Kerze im Leuchter«), mit dem arbeitslosen und nur vordergründig prinzipientreuen Ostler Wolf zusammen, der seine Janine mit Freizeitstress rund um die Uhr nervt: »Such Dir 'nen Job oder kauf Dir einen Hund, aber lass’ das arme Kind in Ruhe!« Und dann ist da noch die diplomatische Museumspädagogin Katja, deren Sohn Fritz zwar Klassenbester ist, aber auch autistisch: »Das Kind ist mir fremd«.

Genug Sprengstoff, um den Gott des Gemetzels heraufzubeschwören, ist das allemal - auch ohne dass noch extra Konflikte zwischen dem Ehepaar Jeskow aufbrechen oder eine alte Liaison zwischen Katja und Wolf (letzterer furios gespielt von René Schubert mit dezentem Sächsisch und beleidigter Grundhaltung), geklärt werden muss. Doch dann finden die Eltern in der zurückgelassenen Handtasche der Lehrerin die Noten fürs baldige Zeugnis - und alles scheint wieder gut. Die hehren Prinzipien sind vergessen, es lebe die Heuchelei. »Wir haben einen Strategiewechsel«, formuliert Beamtin Höfel gewandt.

Tolle Darsteller, bös-witzige Dialoge voller Spitzfindigkeiten, gut beobachtete Typen und eine grandiose Schlusspointe: Dieser Elternabend macht wahrlich Freude. Denn klar, beim eigenen Kind hört der Spaß auf.

Nächste Aufführungen am 7./24./25.2., 22.-25.3., 4.-6.4., je 19.30 Uhr, Karten unter Tel. 030 39 74 74 77

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