Nabelschau im Warteraum
Das Ballhaus Ost erzählt die alltägliche Geschichte eines Festgefahrenen
Es ist ein Drama. Der Mann hat sich festgefahren. Vom Vater früher zum Fleiß angehalten, überholte er sich beim Anpassen fast selbst und deformierte sich damit seelisch. Er ist 28, arbeitet als Ingenieur und kann sich nicht leiden. Um das zu ändern, müsste er Verantwortung für sich selbst übernehmen, nicht weiter eine Schuld in der Kindheit suchen. Daniel, der fragwürdige Held, aber beklagt in dem Gegenwartsstück »Warteraum Zukunft« von Oliver Kluck (Text) und Marie Bues (Regie) sein Leben. Solch einen Mann möchte eine Frau nicht geschenkt haben. Obwohl sie vielleicht in der Lage wäre, ihn zu retten. Vielleicht auch nicht. Daniels Exfreundin jedenfalls hatte drei Mal mit ihm Schluss gemacht. Dann war's wirklich aus.
Die Bühne im Ballhaus Ost, wo die Produktion von Theaterkollektiv Bureau seine Premiere erlebte, wird durch zwanzig Wasserspender eingegrenzt. Sie sind Pausenraum, wo man sich aus den Gallonen etwas Wasser abzapft. Sie vermitteln mit ihrer Anordnung gleichfalls den Eindruck der Eingeschlossenheit, der Enge, die diesen Daniel umgibt. Er lebt in einer geschrumpften Welt. Winzigkeiten plustern sich auf: In der betrieblichen Teeküche ist tatsächlich der Kühlschrank abgeschlossen. Skandal!
Kluck und Bues holten sich für das Stück zwei gestandene Schauspieler, die sich problemlos der Mühe unterziehen, das gut einstündige Stück schnell zu sprechen, um den üblen Zusammenhang zwischen Alltagsgehetze und als Kontrast innewohnender Langeweile über die gesamte Zeit zu erhalten. Zeitweise sprechen sie Rundfunknachrichten, in denen aufgeregt darüber berichtete wird, dass nichts passiert. Matthias Lier gibt sich gekonnt jämmerlich und nicht ohne Komik als Daniel. Er macht sich bei seiner Nabelschau so schlaff, als könnte er sich jeden Moment in Nichts auflösen, ohne die geringste Spur zu hinterlassen.
Katharina Behrens verwandelt sich. In diversen Rollen zeigt sie, dass die Umwelt einem Festgefahrenen nicht helfen kann oder will. Als Kollege beispielsweise stimmt sie ins Klagen ein, als Gewerkschafter stemmt sie Parolen, als Putzfrau gibt sie zu erkennen, dass die ältere Generation Leistung nur bei sich sieht. Als vermeintlich freundlicher Chef schließlich rechnet sie auf, dass Angestellte ein übler Kostenfaktor sind. Auch bekommt Daniel hier die Quittung für seine Entscheidung, immer möglichst unauffällig zu bleiben. Er gehöre nicht zu den innovativen Kadern der Belegschaft, sondern zu denen, die die Firma voranbringen, sagt der Chef. Er will ihn zum Leiter der Firmenaußenstelle in Rumänien machen. Aber so hat sich Daniel die Zukunft nicht vorgestellt. Er wollte lieber ein eigenes Büro im Stammhaus. Stolz und Trotz könnten ihn die neue Aufgabe meistern lassen. Doch damit stattete ihn der Autor nicht aus. Also führt der Weg über einen Partyabend samt alkoholischer Betäubung von der Krise in die Katastrophe.
Mit dem Thema würde der Autor Oliver Kluck, Jahrgang 1980, den vielleicht empfindlichsten Nerv seiner Generation treffen, kündigte das Ballhaus Ost an. Man quäle sich durch Abitur, Studium, dann jage ein Praktikum das andere, möglicherweise folge die Promotion. Ziele in abgesteckten Zeiträumen. Zwei Jahre nach dem Berufseinstieg jedoch sei man ausgebrannt, fühle sich leer und unverstanden. Jetzt kommt das Lebensuntüchtigkeitszeugnis. Eine üble Vorstellung. Sie zeigt, dass unterwegs etliches von dem, was das Leben ausmacht, verloren gegangen sein muss, der Atem für ein langes Berufsleben nicht reicht. Für ein sogenanntes ausgefülltes Leben letztlich auch nicht. »Warteraum Zukunft« schafft eine gelungene Zuspitzung. Mehr kann es nicht sein. Theater ist kein Therapiezentrum.
7., 8.2., 23.-25.3., 20 Uhr, Ballhaus Ost, Pappelallee 15
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