Das große Kritzeln
Die vom Rotstift bedrohte Galerie Pankow präsentiert »Joachim John - der Zeichner«
Auch die Galerie Pankow ist von den Kürzungsplänen im Kulturbereich des Bezirks betroffen. Vehement protestiert der Freundeskreis der Galerie gegen die Schließung, und diejenigen, die sich diesem Protest anschließen, werden von Tag zu Tag immer zahlreicher. Die Eröffnung der Joachim-John-Ausstellung war eine Protestveranstaltung gegen die beabsichtigte Zerstörung der traditionsreichen, nichtkommerziellen Galerie, die ein unersetzlicher Kulturträger nicht nur im Stadtbezirk, sondern für ganz Berlin und darüber hinaus ist. Wenn diese Galerie kurzfristig gedachter Sparpläne wegen geschlossen werden sollte - die Einsparung wäre zudem höchst minimal - , würde den Künstlern eine wesentliche Präsentationsmöglichkeit, den Besuchern eine wichtige Informationsquelle über die zeitgenössische Kunst genommen werden.
Doch nun zu der - hoffentlich nicht letzten - Ausstellung selbst. Die Kunstsammlung der Akademie der Künste besitzt einen hervorragenden Zeichnungsbestand ihres im Mecklenburgischen lebenden Akademiemitgliedes Joachim John, und etwa 50 ausgewählte Blätter aus seiner letzten Schenkung - Gouachen, Bleistift-, Kohle-, Kreide-, Feder- und Pinsel-Zeichnungen sowie Radierungen - werden jetzt in der Galerie Pankow gezeigt: Römische und Mecklenburger Landschaften, Porträts, Etüden, Arbeiten, die in Auseinandersetzung mit Quellen aus Literatur/Theater (Macchiavelli, Shakespeare, Schiller, Giacomo Leopardi, Kafka, Franz Fühmann, Helmut H. Schulz) und Geschichte (Französische Revolution, Situation in Lateinamerika, deutsche Vereinigung) entstanden sind. Der Künstler, der mit 60 auch zu schreiben begonnen hat - er möchte »besser schreiben als Günter Grass bildhauert« -, hat Anregungen von Fritz Cremer, Otto Niemeyer-Holstein, Hans Theo Richter und Gabriele Mucchi empfangen, aber auch von Max Beckmann, dem Meister der Raumkonstruktion und Figurenbildung, der unterschiedliche Zeit- und Wirklichkeitsebenen strukturell zu verknüpfen wusste.
John wird »heimgesucht von Gestalten, Schatten, Schimären aus dem so fesselnden Hauptdrama, der Gesellschaftsmechanik« (Volker Braun), träumt sich in die Geschichte hinein, hat für die seit 1988 entstandenen Blätter zur Französischen Revolution Studien historischen Materials betrieben. Als historischer Dialektiker hat er sich nicht nur auf eine illustrative Darstellung der Geschehnisse beschränkt, sondern die Prozesse und Figuren durchleuchtet, die Zauberformel »Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit« durch die Zeiten verfolgt, die Verlierer und Opfer der Revolution benannt - das alles in einer surrealen Flecht- und Strichpartikelwelt.
»Meine Schwäche ist: ich reflektiere mich krank«, bekennt er. In der Tat ist immer im Bild die Reflexion über das Bild schon mit enthalten. Und dennoch ist John eine so geglückte Synthese mit dem Motiv eingegangen, hat er eine sensible Meisterschaft für das Momentane, für die Aufzeichnung eines Augenblicks entwickelt, der, ohne eingefroren zu wirken, immer dieser eine Augenblick bleibt. Ein Augenblick nämlich, der nicht »verewigt« wird, sondern sich immer wieder neu vollzieht, seine Augenblickswirkung frei von jeder Denkmalhaftigkeit neu ausübt. Deshalb hat er sich auch die Strömungen der klassischen Moderne zu eigen gemacht: den Gedanken der Simultaneität der futuristischen Schachtelperspektiven mit divergierenden Blickrichtungen, der Verwandlung der immerwährenden Bewegung, in der er selbst und der gerade ansetzende Zeichenstift, die Feder, Kohle, Kreide oder die Pinselschrift feste Bezugspunkte bleiben. Seine figurenreichen Szenen rückt er übernah an das Auge des Betrachters oder entfernt sie winzig klein von ihm, dadurch ergeben sich divergierende, voneinander unabhängige Blickpunkte auf einzeln zu sehende Bildelemente.
Einsicht in die Vergeblichkeit allen Protestes, in die Unabwendbarkeit, dessen, was dem Menschen bevorsteht, hat bei John nicht zur Resignation geführt, sondern zur Wendung in die Literatur, in den Mythos, zur Einsicht in die ewige Wiederkehr des Unabänderlichen, in dem sich der Mensch schlechthin behaupten muss. Das Thema des der Illusionslosigkeit entgegen gestellten Lebenswillens kleidet er gern in eine Form, die das Allgemeingültige, das auf jeden Einzelfall Zutreffende und Ausdrückbare meint: in Bild- und Sagenstoffe, in denen menschliche Schicksale archetypisch formuliert sind, oder in Theaterszenen, wo durch die Doppelbödigkeit des Geschehens, durch die gespielte und im Spiel vertauschbare Wirklichkeit, jede Szene für andere Inhalte stehen kann.
»Eine Zeichnung ist gut, wenn dort, wo der Stift das Papier nicht berührt, zauberisch etwas erscheint«, sagt der Künstler, der sich bescheiden-ironisch als »kleiner Kritzel-Zeichner« bezeichnet, obwohl er doch sehr gut weiß, dass er ein ganz großer ist.
Bis 3. März, Galerie Pankow, Breite Str. 8, Di.-Sa. 14-20 Uhr, Publikation der Akademie der Künste 26 Euro.
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