Stasi-Leute bleiben Staatsschützer
Innenminister Woidke stellt sich vor die 17 betroffenen Polizisten
SPD und LINKE hatten sich im Vorfeld der Ausschusssondersitzung erklärterweise davon überhaupt nichts versprochen, FDP sowie Grüne hatten sie mit dem Verweis auf die Enquetekommission zur Vergangenheitsaufarbeitung sogar abgelehnt.
Innenminister Dietmar Woikde (SPD) teilte eingangs mit, dass 17 heutige Polizisten im Staatsschutz einstmals hauptamtlich oder nebenberuflich MfS-Mitarbeiter waren. Er stellte sich vor diese Menschen. Es gebe keine Veranlassung, die einstmals getroffene Entscheidung für ihre Übernahme in den Staatsdienst in Frage zu stellen. In allen Fällen habe es eine Einzelfallprüfung gegeben. Als Entlastungsgründe seien jugendliches Alter, Geringfügigkeit bei der Zusammenarbeit, das längere Zurückliegen der MfS-Tätigkeit und eine mögliche erpresste Zusammenarbeit gewertet worden. Ausdrücklich verwies Woidke auf den 1994 gefassten einstimmigen Landtagsbeschluss »Mit menschlichem Maß die Vergangenheit bewerten«. Auch für eine Versetzung der Beamten, wie die CDU sie nahe lege, bestehe nicht der geringste Anlass.
Woidke zitierte den früheren Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) mit den Worten, die Ernennung dieser Polizisten »kann heute nicht mehr rückgängig gemacht werden. Das ist rechtlich abgeschlossen ... Die betreffenden Beamten sind rechtmäßig ernannt.« Das bestätigte der neben Woidke sitzende Schönbohm auch, fügte aber hinzu, heute existiere eine neue Rechtslage, man könne gegen die Beamten tätig werden.
Der erste Nachwende-Innenminister Brandenburgs Alwin Ziel (SPD) warb eindringlich dafür, nicht 20 Jahre später die Maßstäbe verschieben zu wollen. Die DDR-Volkspolizisten seien in der Nachwendezeit nicht mit Samthandschuhen angefasst worden, doch hätten eben auch sie Gewaltverzicht geübt. Und man habe sie in schwieriger Zeit gebraucht, in der sie sich als verlässlich erwiesen hatten. Die Übernahme bestimmter Spezialisten unter den Polizisten sei ihm von Beratern aus dem Westen nahegelegt worden. Alle Fraktionen, einschließlich der CDU mit ihrem damaligen Vorsitzenden Peter-Michael Distel, hätten das Vorgehen gebilligt.
Beim Thema Richter sagte Ex-Justizminister Hans Otto Bräutigam, die Übernahmequoten bei Richtern (44 Prozent) und Staatsanwälten (55 Prozent) hätten denen anderer ostdeutscher Länder entsprochen. Es sei darum gegangen, »gerade Jüngeren eine Chance zu geben, sich in das neue System zu integrieren«. Bräutigam bestätigte den Kurs des gegenwärtigen Justizministers Volkmar Schöneburg (LINKE): Die Übernahmeentscheidung für Richter und Staatsanwälte habe Bestand, sie könne nicht einfach in Frage gestellt werden.
Im Vorfeld der Sitzung war ein neues Gutachten für die Enquetekommission zur Aufarbeitung der Nachwendejahre öffentlich geworden. In dem Gutachten bescheinigt die Rechtsprofessorin Rosemarie Will von der Berliner Humboldt-Universität dem Verfahren der Richter-Übernahme in Brandenburg Rechtsstaatlichkeit und Fairness. Weil das Gutachten nicht im Fahrwasser der manischen DDR-Abrechner schwimmt, hat eine kleine Potsdamer Tageszeitung dem Text vorgeworfen, er sei »heimtückisch«. Das wies Linksfraktionschefin Kerstin Kaiser entschieden zurück. Kaiser sieht in dem Gutachten bestätigt, dass die Richter-Übernahme in Brandenburg korrekt verlief. Weil das die Ergebnisse eines rechtsstaatlichen Verfahrens gewesen seien, »können sie nicht einfach aufgerollt und revidiert werden«, sagte sie bezogen auf CDU-Forderungen, alle Richter und Staatsanwälte in Brandenburg erneut zu überprüfen. Ein verändertes politisches Interesse reiche zur Begründung nicht aus.
Der SPD-Fraktionsvorsitzende Ralf Holzschuher wies darauf hin, dass im Potsdamer Richterwahlausschuss seinerzeit zwei CDU-Mitglieder, zwei Mitglieder der Bürgerbewegungen und ein SPD-Mitglied vertreten gewesen seien. Diese Gremien hätten in Einzelfällen gegen das Votum des damaligen Justizministers Bräutigam einer Übernahme zugestimmt. Entgegen der historischen Wahrheit werde der Mythos von einer Kumpanei zwischen SPD und SED-Mitgliedern aufgetischt. Holzschuher berief sich auf den seit 1990 im Landtag sitzenden SPD-Abgeordneten Andreas Kuhnert, nach dessen Aussage nirgends eine intensivere Prüfung vor der Richterberufung erfolgt sei als in Brandenburg.
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