Geschacher um Schokoladen
Für das Kulturprojekt in Mitte gibt es vielleicht noch Hoffnung / Neue Verhandlungen
Das akut von Räumung bedrohte Kultur- und Wohnprojekt Schokoladen in der Ackerstraße in Mitte kann laut dem dortigen Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, Ephraim Gothe, ein wenig Hoffnung schöpfen. »Wir haben mit dem Eigentümer nochmals Verhandlungen über ein sogenanntes Kompensationsgeschäft aufgenommen, das dieser im Moment prüft«, versuchte Gothe gestern bei einem Treffen von Politikern und Kulturschaffenden im Schokoladen Zuversicht zu verbreiten. Es sei jetzt alles wieder offen, das Wichtigste sei, die Nerven zu behalten und nicht zu provozieren.
Die Betroffenen aus dem Haus, das Ateliers, ein Theater und den Club der Polnischen Versager beheimatet, sahen das dramatischer: »Wir stehen mit dem Rücken zur Wand«, beschrieb Projekt-Sprecher Chris Keller das Befinden. »Da ist es nicht leicht, die Ruhe zu bewahren. Natürlich sind wir an einer friedlichen Lösung interessiert. Das wird uns aber nicht von fantasievollem Widerstand abhalten.« Für den 22. Februar ist die Räumung angekündigt.
Bei einem »Kompensationsgeschäft« würde der Eigentümer das Haus an eine Stiftung verkaufen, die es wiederum an die Hausgemeinschaft verpachtet. Der Liegenschaftsfonds würde dem Eigner dann eine vergleichbare Immobilie aus seinem Portfolio zum Verkauf bieten. Laut Holger Lippmann, Geschäftsführer des Liegenschaftsfonds Berlin, wurden solche Angebote jedoch bereits in großer Zahl vorgelegt: »Wir haben dem Investor über 60 mögliche Grundstücke vorgeschlagen, er hat sie alle abgelehnt.«
Forderungen, in diesem Falle die Bedingungen des Eigentümers zu akzeptieren, erteilte Finanzsenator Ullrich Nußbaum eine klare Absage. Er betonte, der Senat dürfte sich nicht von dem Investor, der die angespannte Situation ausnutze, erpressen lassen. »Berlin kann nicht einfach öffentliches Vermögen für die übertriebene Kompensation eines Hausbesitzers verwenden«, so der Senator gestern im Abgeordnetenhaus auf eine Anfrage der Grünen. Möglichkeiten für den Senat, in der Causa tätig zu werden, sah Nußbaum nicht und verwies auf den in der Sache sehr aktiven Bezirk sowie »die Gewaltenteilung«.
Das sieht der Berliner Landesvorsitzende der LINKEN, Klaus Lederer, anders: »Wenn man den Schokoladen, der im Übrigen keinen Cent Subventionen benötigt, tatsächlich halten will, dann muss man in den Verhandlungen auch auf den Investor zugehen.« Katrin Schmidberger von den Grünen ergänzte, dass es angesichts der für Hochkultur oder das neue »Musicboard« ausgegebenen Summen unangemessen sei, beim Schokoladen zu knausern.
Der in der gesamten Gerntrifizierungs-Debatte arg in Bedrängnis geratene Liegenschaftsfonds wurde gestern im Schokoladen aber zum Teil in Schutz genommen. Zunächst stellte Geschäftsführer Lippmann klar, dass der Fonds selber keine Politik mache. »Wir sind doch gerne die Guten, können uns das aber nicht aussuchen«, warb er um Verständnis. »Die jeweiligen Entscheidungen werden von den Senatsverwaltungen getroffen.« Das bestätigte zwar Lederer, fügte aber die Frage an, ob denn die Aufgaben des Fonds nicht neu definiert werden müssten. »Wir brauchen da eine Abkehr von der Maximal-Verwertungs-Logik«, forderte der LINKEN-Politiker und erhielt dabei auch Unterstützung des Bezirksbürgermeisters von Mitte, Christian Hanke (SPD), der eine Liegenschaftspolitik, die bedrohte Kulturräume erhält, als »großes Thema der Zukunft« bezeichnete.
Der Anwalt des Schokoladens, Moritz Heusinger, zweifelte unterdessen die Rechtmäßigkeit der Räumungstitel für den 22. Februar an. »Es gibt nur erstinstanzliche Urteile, gegen die wir Berufung eingelegt haben, die also noch nicht rechtskräftig sind«, so der Anwalt. Zudem seien im Urteil die Einzelgruppen des Projektes nicht benannt, man dürfe also nur den Verein symbolisch vor die Tür setzen. »Im Eifer des Gefechts wird dann aber oft alles geräumt«, warnte Heusinger.
Dass es am besten gar nicht zum Gefecht kommen sollte, darüber waren sich Künstler und Politiker einig, forderten einhellig ein Moratorium der Räumung, um weiter zu verhandeln. Ruhe bewahren will die Hausgemeinschaft aber weder juristisch noch auf der Straße. Als friedlich und kämpferisch beschrieb Anja Gehrlich vom Schokoladen die Stimmung. Sie appellierte an die Justiz, auf Provokationen im Umfeld der Räumung zu verzichten, und garantierte dem Gerichtsvollzieher dafür freies Geleit.
www.berlin-braucht-schokoladen.de
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