Ein Geschenk für Hitler
Vor 80 Jahren: Der »Schwarze Montag« in Deutschland
Sie steht am Beginn von Adolf Hitlers kometenhaftem Aufstieg ebenso wie an der Wiege von US-Präsident Franklin D. Roosevelts New Deal, eines »sozialen Staatskapitalismus« - die Weltwirtschafts- und Weltbankenkrise von 1929 bis 1933. Der Kollaps der Weltwirtschaft löste damals den rapiden Niedergang des globalen marktwirtschaftlichen, kapitalistischen Systems von bislang nicht erlebter Breite und Tiefe aus. Im Winter/Frühjahr 1932 zählte man allein in den führenden westlichen Industrienationen an die 40 Millionen Erwerbslose.
Besonders hart wird vor 80 Jahren Deutschland getroffen, die längst schon in Agonie übergegangene Weimarer Republik. Hier folgt auf dem New Yorker Börsen-Crash, auf dem »Schwarzen Freitag« vom 25. Oktober 1929, der Berliner »Schwarze Montag« am 15. Februar 1932. An diesem Tag teilt das Reichsarbeitsministerium mit: Zwischen Aachen und Königsberg seien 6,128 Millionen Frauen und Männer offiziell als erwerbslos gemeldet; Deutschland zählte damals knapp über 65 Millionen Einwohner. Im Winter 1932 ist die Industrieproduktion der Weimarer Republik im Vergleich zu 1928 auf etwa die Hälfte geschrumpft, während sich das statistische Volkseinkommen pro Einwohner im selben Zeitraum halbiert hat. Nicht wenige deutsche Familien kämpfen ums nackte Überleben.
Mit einer Arbeitslosenquote von nahezu 40 Prozent hält Deutschland weltweit den Negativ-Rekord. In den USA liegt die Quote zu diesem Zeitpunkt bei 25 Prozent, in Frankreich bei 20, in Großbritannien bei 18 Prozent. Hinzu kommen zwischen Flensburg und Passau, Konstanz und Stettin drei Millionen Kurzarbeiter sowie nochmals rund vier Millionen »unproduktive« Rentner.
Die deutschen Finanzen - öffentliche wie privatkapitalistische - befanden sich schon vor dem Beginn der Großen Krise in bedenklicher Unordnung. Die Landwirtschaft klagte schon seit Jahren über sinkende Einkünfte und war stark überschuldet. Die rasche Modernisierung und Rationalisierung der Industrie nach dem Ende der Nachkriegskrise und der Hyperinflation 1923/24, die rege Bautätigkeit der Städte und Gemeinden (Krankenhäuser, Schulen, Sportplätze, sozialer Wohnungsbau), der kurze, heftige Aufschwung seit Mitte der »Goldenen Zwanziger Jahre« - das alles war großteils mit kurzfristig angelegten ausländischen, vor allem US-amerikanischen Krediten finanziert worden.
Das Schuldenkarussell, das Deutschland über fünf »goldene Jahre« in Schwung gehalten hat, steht jetzt still. Die finanzielle Basis der Weimarer Demokratie ist »dank« hoher Staats-, Länder- und kommunaler Verschuldung sowie der Reparationszahlungen zerrüttet. So sucht nun die Reichsregierung ihr Heil in Steuererhöhungen (u. a. der Einkommens-, Umsatz-, Bier-, Salz-, Tabak- und Mineralölsteuern), in Sondersteuern (etwa für Junggesellen, Mineralwasser und Warenhäuser) und im Anheben der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung.
Vor allem die sprunghaft anschwellenden Ausgaben für die Massenarbeitslosigkeit reißen immer tiefere Löcher in die öffentlichen Haushalte. So muss »Vater Staat« 1932 fast 65 Prozent der gesamten öffentlichen Ausgaben (11,5 Milliarden Reichsmark) für soziale Zwecke einplanen. Reichs- und »Hunger«kanzler Heinrich Brüning aber verfolgt eisern eine strikte Deflations-Politik, die die Krise weiter verschärft. Sparen, Sparen, Sparen!
Eine Welle von Lohn- und Einkommenssenkungen wird von der Reichshauptstadt Berlin aus in Gang gesetzt. Die Gehälter und Renten der Angestellten und Beamten im öffentlichen Dienst sowie die Einkommen der freien Berufe fallen zum Teil beträchtlich. Gleichzeitig grassiert eine Pleitewelle in Handwerk, Handel, Gewerbe und Industrie. Eine Lösung sieht man in der Beschränkung der Frauenarbeit. Vor allem aus dem bürgerlich-konservativen Lager schallt es: »Kampf dem Doppelverdienertum! Die Frau gehört ins Haus!« Am 30. Mai 1932 erlässt der Berliner Reichstag ein »Gesetz über die Rechtsstellung der weiblichen Beamten«, das verheiratete »Staatsdienerinnen« aus dem Beruf drängen soll. Sie können nun ohne Umstände entlassen werden, wenn die Familienversorgung über das Einkommen des Ehemanns dauerhaft gesichert ist.
Vor allem aber fahren »Stütze« und andere Sozialleistungen in den Keller. Das Arbeitslosengeld sinkt unter das Existenzminimum. Ein Erwerbsloser erhält im Durchschnitt 54 RM im Monat; 66 RM hingegen gelten selbst bei bescheidener Lebensführung als Minimum. Und das Arbeitslosengeld wird jetzt nur noch sechs Wochen (1929 waren es 26 Wochen) ausgezahlt. Auch die Glücklichen, die noch Arbeit haben, sind nicht viel besser dran. Der statistische Nettowochenlohn eines Industriearbeiters halbiert sich zwischen 1928 und 1932 von 42 auf 22 RM. Die Schlangen vor den Arbeitsämtern werden länger und länger. »Nehme jede Arbeit an!« - so oder so ähnlich bieten sich in Deutschland Frauen und Männer an. Die Arbeitslosigkeit greift weit hinein in die Mitte der Gesellschaft, trifft auch das mittlere Bürgertum und die »Freien Berufe«.
Kalte Wut auf das »System« verdichtet sich jetzt zu einer hochexplosiven Mischung. Die Perspektivlosigkeit breiter Massen, ein völlig überforderter Staat und ein zusammenbrechendes soziales Sicherungssystem treiben den Nazidemagogen Millionen von Wählern zu. Ein knappes Jahr nach dem »Schwarzen Montag« wird Hitler ganz legal ins Amt gehoben.
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