Enttäuschte Revolutionäre
Die Protestbewegung, die vor Jahresfrist Mubarak stürzte, hat einer Militärdiktatur den Weg geebnet
Ein Jahr nach dem Rücktritt des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak will die Menschenrechtsorganisation Amnesty International am heutigen Samstag mit einem Aktionstag gegen die Menschenrechtsverletzungen des ägyptischen Militärrates protestieren. Angeführt von dem langjährigen Verteidigungsminister Mubaraks, Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi, hatte das Militär Mubarak zum Rücktritt gezwungen und die Machtbefugnisse des Präsidenten übernommen. 12000 Zivilisten seien seitdem vor Militärgerichten angeklagt worden, so Amnesty, aus menschenrechtlicher Sicht habe sich die Lage im Land weiter verschlechtert.
Unter den Angeklagten seien viele Aktivisten der Gruppen, die vor einem Jahr die Proteste auf dem Tahrir-Platz in Kairo organisiert hätten, die schließlich zum Sturz Mubaraks geführt hätten. 13 Aktivisten, die in Internettagebüchern, den so genannten »Blogs«, die Lage im Land kommentierten, seien sogar zum Tode verurteilt worden.
Mubarak war am 11. Februar 2011 nach wochenlangen Protesten gegen seine Herrschaft zurückgetreten. Er muss sich derzeit vor einem Kairoer Gericht wegen der Tötung von Demonstranten und Machtmissbrauchs verantworten. An jedem Prozesstag wird der 84-Jährige in einem Krankenbett in den Käfig gerollt, in dem er an dem Prozess gegen sich teilnehmen muss.
Wohl kaum einer der Tausenden Demonstranten, die an jenem historischen 11. Februar zum Tahrir-Platz strömten, hätte sich vorstellen können, dass Mubarak sich weniger als ein Jahr später vor einem Gericht verantworten müsste. Um die Demonstranten zu beschwichtigen, hatte Mubarak wenige Tage zuvor die Gründung eines Komitees bekannt geben, die sofort die Verfassung überarbeiten und erste Ergebnisse bis Anfang März vorlegen sollten. Die Gewalt gegen die Demonstranten in vorhergehenden Tagen sollte untersucht und ein Dialog mit der Opposition geführt werden.
Doch die Massen ließen sich nicht beeindrucken. »Er muss gehen, er muss gehen«, riefen Tausende auf dem Tahrir-Platz, unter denen auch die Autorin war. Am 10. Februar machten sich dann erste Gerüchte breit, der Präsident werde zurücktreten, für den Abend war eine Rede im Fernsehen angekündigt worden. Als Mubarak dann aber mit großer Verspätung und versteinerter Miene vor die Kamera trat, folgte nicht die Rücktrittserklärung, sondern eine Ansage, dass er zu bleiben gedenke.
Die Antwort auf Mubaraks Rede kam prompt. Die Menschen auf dem Tahrir-Platz wedelten wütend ihre Schuhe durch die Luft und forderten noch lauter den Rücktritt. Als kurz darauf Vizepräsident Omar Suleiman die Demonstranten per Fernsehansprache aufforderte, nach Hause und zu ihren Arbeitsplätzen zurückzukehren, gab es kein Halten mehr. Tausende zogen vom Tahrir-Platz in Zentral Kairo zum Staatlichen Fernsehsender an der Nilufer᠆straße, nur wenige hundert Meter vom Platz der Befreiung entfernt.
Am 11. Februar strömten schon kurz nach Sonnenaufgang die Massen auf den Platz. Man hatte den Eindruck, dass halb Kairo unterwegs sei. Streiks und Proteste wurden aus verschiedenen Teilen des Landes gemeldet. Gegen Mittag wurde von der Bühne das Kommuniqué Nr. 2 der Streitkräfte verlesen. Die Menge antwortete mit »Volk und Armee Hand in Hand«. Kurz nach Sonnenuntergang hieß es dann auf dem Platz, Mubarak und seine Familie hätten Kairo verlassen.
»Die Protestbewegung hat einem stillen Militärputsch den Weg geebnet«, meinte einige Monate später ein politischer Beobachter. Viele Hoffnungen derer, die damals auf dem Tahrir-Platz standen, haben sich nicht erfüllt. Der Militärrat selbst verhinderte bisher einen tiefergehenden Umgestaltungsprozess. Eine neue Verfassung sollte erarbeitet werden, eine Regierung aus Technokraten sollte den Übergang führen, das Militär in die Kasernen zurückkehren. Nichts davon konnte durchgesetzt werden. Bei den im Januar beendeten Parlamentswahlen siegten religiöse Parteien. Die Oppositionsbewegung von vor einem Jahr konnte zwar unter hohen Verlusten den Abtritt Mubaraks erzwingen, dessen autoritäres System aber ist noch immer an der Macht.
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