Kunst unterm Tomograph

Die Ausstellung »geSchichten und beFunde« und ein Stadtspaziergang im Märkischen Museum

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.
Madonna aus Braunsfelde
Madonna aus Braunsfelde

Es war ein ungewöhnlicher Patient, der vor etwa zwei Jahren im Hedwigs-Krankenhaus in Mitte per Computertomograph untersucht wurde: eine uralte, völlig verwitterte hölzerne Bischofsfigur aus der Wittstocker Marienkirche. Nur ein Querschnitt konnte die Jahresringe sichtbar machen - ein Beispiel dafür, dass wissenschaftliche Methoden in der Geschichtsforschung immer wichtiger werden. Wie sich Alter und Herkunft mittelalterlicher Schätze mittels neuer Forschung erschließen lassen, erzählt das Märkische Museum in seiner Ausstellung »geSchichten und beFunde - Mittelalterliche Sakralkunst neu entdeckt«.

Zwei Jahre lang wurde die bedeutende sakrale Sammlung des Stadtmuseums mit Hilfe der amerikanischen Getty-Foundation systematisch erforscht. Herausgekommen ist dabei nicht nur ein beeindruckender Katalog, sondern auch eine kleine, hochinteressante Schau rund um Hoffmanns Gotische Kapelle im 2. Stock des Märkischen Museums. Wie Holzskulpturen und Flügelaltäre durch Untersuchung der Jahresringe des Holzes auf ihr Alter bestimmt werden, wie mit Infrarotlicht Malereien untersucht werden oder die Herkunft des Sandsteins bei Skulpturen, zeigt das Museum sehr anschaulich anhand einiger Beispiele wie einer wertvollen Spandauer Madonnen-Skulptur oder einem priesterlichen Messgewand aus italienischem Damast.

Schautafeln erklären, wie naturwissenschaftliche Institute mit Historikern und Restauratoren zusammenarbeiten, um die mittelalterlichen Funde zeitlich und örtlich einzuordnen und möglichst nah am Originalzustand der Öffentlichkeit zu präsentieren.

Auch die Dauerausstellung märkischer Kunst des Mittelalters in Kapelle und Nebenraum wurde neu überarbeitet und um einige jüngst restaurierte Kunstwerke bereichert. Bei anderen Stücken wie einer Reliquie des Heiligen Nikolaus ergaben die Forschungen, dass sie aus der Nikolaikirche stammen, wo sie nun zu bewundern sind. Egal, wo: Nach Besuch der Studienausstellung sieht man die alten kirchlichen Schätze mit anderen Augen.

Der zweite Teil der Ausstellung (»Hier ist Berlin!«) ist ein aufschlussreicher Museums-Rundgang durch Berliner Straßen und Viertel. Der Besucher wird nicht streng chronologisch durch die Epochen geleitet, sondern erkundet die Entwicklung der Stadt über markante Orte, vom Brandenburger Tor bis zur Schönhauser Allee. Jedem Kiez ist mindestens ein Raum gewidmet; Gemälde, Fotos und Filme, Kunstwerke und Alltagsobjekte bringen dem Betrachter den Zeitgeist der verschiedenen Epochen nahe.

So ist im Raum rund ums Brandenburger Tor ein originaler Pferdekopf aus Schadows Skulpturengruppe ebenso zu sehen wie eine Karikatur von Napoleon mit der Quadriga auf dem Rücken; im Raum Brüderstraße liegen unter Glas die Originaltagebücher von Lili Parthey, der Enkelin von Buchhändler Nikolai, ein paar Meter weiter zeigt ein riesiges Stadtmodell die von Schinkel streng klassizistisch gestaltete Stadtmitte.

Über Kopfhörer und Bildschirm kann man auch die Entwicklung der Invalidenstraße mit der Königlichen Eisengießerei verfolgen. Wie sich eine zweite Eisengießerei, nämlich die von August Borsig, von der kleinen Manufaktur am Oranienburger Tor zum größten Dampflokomotiven-Hersteller Europas entwickelte und was das für die Industrie Berlins bedeutete, erzählt der Raum »Von Feuerland nach Tegel«. Neben Lok-Modellen und Fotos beeindrucken hier besonders vier große Gemälde aus der Villa Borsig; Paul Meyerhahn stellte in seinem Zyklus die »Geschichte einer Lok« dar, vom höllischen Hochofenabstich bis zur Montage.

Durch den Innungssaal des Museums geht’s dann zum Raum »Schönhauser Allee«, die mit ihren Biergärten, Kneipen und später der Pferdebahnlinie die Amüsiermeile fürs Volk war - Fotos, Programme und Plakate zeugen von dieser Zeit, Modelle von Kutschen, Bus, Tram und Autos zeigen den Fortschritt in punkto Mobilität. Zudem beherbergte der »Boulevard des Nordens« etliche italienische Familien. Eine davon, Familie Bacigalupo, machte sich mit dem Bau von Drehorgeln einen Namen, wovon zahlreiche Modelle erzählen sowie ein großes Foto mit sämtlichen Familienmitgliedern und dem Stammbaum.

Einen großen Raum füllen musikalische Geräte - neben Grammophon und Klavieren ein prächtiges Orchestron oder das Lochplattenspielwerk »Eroica«.

Beide Ausstellungen geöffnet Di, Do.-So. 10-18 Uhr, Mi. 12-20 Uhr; Märkisches Museum

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