Schreddern und verfeuern
Baumbestand Unter den Linden wird reduziert / Kein Protest von Umweltschützern
Auf dem Boulevard Unter den Linden in Mitte kamen auch am Dienstag die Kettensägen nicht zur Ruhe. Seit Montagmorgen werden alle 54 Silberlinden auf dem Mittelstreifen zwischen Staatsbibliothek und Komischer Oper gefällt. Bisher standen Unter den Linden über 300 der Laubbäume. Sie sollen einer 20 Meter tiefen Baugrube der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) weichen, die für den Bau eines neuen U-Bahnhofs nötig ist. Die Arbeiten stehen im Zeichen eines Großprojekts der BVG, das durch den Neubau von drei Bahnhöfen in Mitte die Linien U 5 und U 55 (»Kanzler-U-Bahn«) verbinden soll.
Das Fällen der Linden dauert bis zum 24. Februar an. Sie werden direkt vor Ort geschreddert. »Die Holzreste werden in Berlin hauptsächlich zur Energiegewinnung durch Verfeuerung genutzt, kleine Mengen geben wir auch an Privatpersonen ab, etwa zur Kompostierung«, sagt ein Mitarbeiter bei der Fällung. Dadurch werde auch der ökologische Verlust der Bäume etwas abgefedert.
Ab Juli ist für Autoverkehr und die Nutzer der Linie U 6 mit Einschränkungen »für voraussichtlich ein Jahr« zu rechnen, so die BVG. 2019 soll das gesamte Projekt abgeschlossen sein. Dann werden die gefällten Bäume vom Bezirksamt Mitte durch die gleiche Anzahl junger Kaiserlinden ersetzt. Das Bezirksamt wurde für diesen Zweck von der BVG entschädigt. Die Bäume, die für die Baustelle verschwinden müssen, sind ungefähr 60 Jahre alt, im Durchschnitt werden die Linden nach Angaben des Grünflächenamtes des Bezirks Mitte 80 Jahre alt.
Passanten sind geteilter Meinung über die Bauarbeiten: »Das ist blinde Zerstörungswut! Unsere Politiker entscheiden mal wieder über unsere Köpfe hinweg«, beschwert sich ein weißhaariger Herr. Er beklagt vor allem fehlende Bürgerbeteiligung und stellt das Bauvorhaben gar in eine Reihe mit dem umstrittenen Bahnhofsneubau Stuttgart 21. Ein Anwohner hingegen trauert nicht um die gefällten Bäume. Er kann die Aufregung nicht nachvollziehen: »Fünf von sechs Bäumen sind doch davon gar nicht betroffen!« Er freue sich vielmehr auf die neue U-Bahn-Linie. »Damit kommen Berliner, die es sich nicht leisten können im Zentrum zu wohnen, viel schneller hierher«, sagt der Schnurrbartträger.
Den meisten vorbeiziehenden Fußgängern scheinen die abgeholzten Linden jedoch eher egal zu sein. Sie registrieren ihr Fehlen eher beiläufig und gehen zielstrebig weiter.
Proteste von Umweltschützern gegen die Fällung der Linden blieben bislang offenbar weitgehend aus. Zuletzt hatten aufgebrachte Anwohner im Herbst gegen das Abholzen mehrerer Bäume im Ottopark protestiert. Die Polizei musste damals die Demonstranten, die sich an die Bäume gekettet hatten, wegtragen.
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