Gleichzeitig ungleich

Die Neue Nationalgalerie thematisiert die Kunstentwicklung von 1945-1968 mit Werken aus der Sammlung

  • Anita Wünschmann
  • Lesedauer: 3 Min.

Es beginnt dramatisch mit dem Blick auf die Skulpturengruppe »Riat« des hyperrealistisch arbeitenden Amerikaners Duane Hanson im Foyer. Sie soll vom Anfang her den Kreis schließen mit der Mitteilung: Realismus ist eine wesentliche Kunststrategie, an die immer wieder angeknüpft werden wird. Sowie: Künstler sind zumindest in intensiven Phasen gesellschaftlicher Umbrüche offenbar weniger selbstreferenziell als unmittelbar politisch. Dann leuchtet es knallfarbig auf und lässt den Aktivitätsmodus steigen: links pures Rot von Ruprecht Geiger, rechts das Simultanbild »Leuna 21« von Willi Sitte mit seiner narrativen historischen Verdichtung und eben jener Signalfarbe, die zum Hingucken zwingt. »Der geteilte Himmel« nach dem gleichnamigen Titel der Erzählung von Christa Wolf ist der zweite Teil der jeweils 18 Monate laufenden Ausstellungstrilogie »Das zwanzigste Jahrhundert« in der Neuen Nationalgalerie.

Die (Kunst-)Welt der Nachkriegsära bis zum Ende der 60er Jahre erlebte einen ungemein vitalen Aufbruch. In schneller Abfolge wurden ästhetische Konzepte geboren und Programmatiken verabschiedet. »Wirtschaftswunder und Bau der Mauer, Kuba-Krise und Vietnam-Krieg, Sputnik und Apollo, Kennedy und Mao - schroffe Kontraste und harte Fronten prägten die Kunst zwischen 1945 und 1968«, so Joachim Jäger, Leiter der Neuen Nationalgalerie und Ausstellungskurator. 133 Werke, neben Malerei auch Skulptur, Installation (Nam Jun Paik, Wolff Vostell) und Fotografie, sind in stilistischen Gruppen und nach Entstehungszusammenhängen arrangiert. Bewegungen wie CoBrA, Zero und Minimal Art sind in eigenen Kabinetten vorgestellt. Eine Soloschau widmet sich Gerhard Altenbourgs »Homo Ecco«.

Vor allem geht es darum, eine komplexere Erzählung der Nachkriegskunstentwicklung zuzulassen. Man sollte die Augen öffnen für überraschende Akzente und Zusammenführungen wie etwa Renato Guttusos »Rote Wolke« und Ernst Wilhelm Nays Augenbilder. Es ist etwas irreführend aber auch kein Zufall, dass die beiden großen quasi antipoden Gemälde - das simultane Leunabild und Ruprecht Geigers abstraktes Rot - den Eintritt zum ersten Saal flankieren. Nein, keine Ost-West-Debatte wird so aufgewärmt, sondern ein Akkord für die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen angeschlagen.

Die Nachkriegskunstentwicklung aus einer schrecklichen Hinterlassenschaft wird dabei signifikant herausgestellt: Die Gemälde hängen im ersten Raum an frei komponierten Stahlsäulen. Eine Ausstellungsästhetik, die an die erste documenta 1955 erinnern soll, vermittelt die Orientierungssuche nach Krieg und Zerstörung mit Radziwills »Flandern« oder Heinrich Ehmsens »Wahnsinnigen Harlekinen vor den Trümmern des Krieges« (1945). Der Dresdner Wilhelm Lachnit malt 1948 eine melancholische »Gliederpuppe«. Hans Hartung peitscht Pinsel »Schwarz auf Rostbraun«.

Streik, Krieg, entfremdete Menschen, Auschwitz, verödete Städte: Mit wenigen Arbeiten ist ein historischer Rückblick arrangiert, nicht in erster Linie auf Akademiestreitigkeiten, sondern auf die emotionale Hinterlassenschaft inmitten Europas. Erst dann lässt sich auch in Begleittexten nachlesen, inwiefern Künstlerbiografien wiederum Schaden genommen haben. Die Texte geben eine Ahnung vom dicht verflochtenen Ersatz-Schlachtfeld Kunst.

Hoch emotional ist der Saal, in dem sich Schmerzfiguren, Angstbilder, Volumen und dessen Reduzierung in Malerei und Plastik begegnen. Die Ära der Pop-Art wird mit Andy Warhols »Double Elvis« über einen Lovesong der Beatles bis hin zur Tapete von Thomas Bayrle inszeniert. Das Auge reibt sich an Warhols »The electric Chair« und Sigmar Polkes »Dublin«. Dazu Marx und Mao als Bronzen von Bildhauern wie Gustav Seitz und Will Lammert. Mit der Sozart-Debatte (Boris Groys) wurde Idolbildung und Entfremdung ja bereits hinreichend thematisiert: Hier treffen Ikonen des westlichen Massenkonsums auf jene des realsozialistischen Alltags und lassen die Frage nach Maß und Gottheit im Raum.

Bis 2013, Neue Nationalgalerie

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