Solidarität im öffentlichen Dienst
In Israel erstreiken die Festangestellten Verbesserungen für Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter
Am Ende ist es um nicht mehr als ein Hähnchen gegangen. »Wir haben schon seit einer Ewigkeit kein Hähnchen mehr gegessen«, erklärt Lydia das Zischen, dass durch den Telefonhörer dringt: »Ich will die Kinder überraschen, wenn sie von der Schule nach Hause kommen. Ich hatte schon geglaubt, dass wir uns nie was Anständiges würden leisten können.«
Seit elf Jahren arbeitet die alleinerziehende Mutter im Außenministerium, einem Neubau aus Stein und Glas. Kostenpunkt: 400 Millionen Euro. Sie putzt ihn, für bisher um die 700 Euro, absolut nicht genug für eine anständige Wohnung und etwas Richtiges zu Essen. Bis Montag. Als die Leute von der Leiharbeitsfirma, bei der sie, wie die meisten ihrer Kolleginnen angestellt ist, ins Ministerium kamen, und ihren Mitarbeitern Briefumschläge in die Hand drückten. In Lydias Umschlag: Ein Schecks über umgerechnet 220 Euro - die Gehaltserhöhung für den Februar.
Es ist das Ergebnis eines Streiks, der vorige Woche fünf Tage lang einen Großteil der öffentlichen Einrichtungen lahmlegte. Der Gewerkschaftsdachverband Histadruth hatte dazu aufgerufen, um die Situation der Leiharbeiter zu verbessern, von denen viele Vollzeit arbeiten, und dennoch Teil der offiziellen Armutsstatistik sind: 24,7 Prozent der Gesamtbevölkerung und 35,9 Prozent der Kinder unter 16 Jahren gelten ihr zufolge als verarmt.
250 000 Leiharbeiter gibt es in Israel, und die meisten davon sind im öffentlichen Sektor tätig: Sie sind Putzfrauen, Handwerker, Sicherheitsleute, aber auch Lehrer, Erzieher, Sozialarbeiter. Ihre Existenz ist das Ergebnis eines Prozesses, der Ende der 90er Jahre begann: Die Einführung der Leiharbeit sollte Kosten sparen, das Wirtschaftswachstum finanzieren. Und die damalige rechtskonservative Regierung wollte die Macht der Histadruth durchbrechen, deren Vorsitzende damals de facto Schattenregierungschefs waren: Nahezu jeder arbeitende Israeli war in der Gewerkschaft; mit einem Wort konnte ihr Vorsitzender alles zum Stillstand bringen - was auch oft geschah. Zu oft.
Die Histadruth verlor massiv an Mitgliedern, und an Einfluss. Und immer mehr Israelis, darunter mehr Araber als Juden, arbeiteten unterhalb des Existenzminimums, mit minimaler sozialer Sicherheit - bis diese Form der Beschäftigung so normal wurde, dass es den meisten Israelis nicht mehr auffiel.
Doch der Streik hat die Lage der Leiharbeiter ins Bewusstsein befördert. Und erste Ergebnisse mitgeliefert: Es wurde ein Mindestlohn für Putzfrauen, Sicherheitsleute und Handwerker eingeführt. Außerdem erhält jede und jeder 20 Prozent mehr im Monat. Hinzu kommt ein Paket zur sozialen Absicherung. Die Leiharbeitsfirmen, die in der vergangenen Woche noch mit Kündigung gedroht hatten, falls die Mitarbeiter streiken sollten, müssen die Gewerkschaftstätigkeit erlauben. Die Medien sind sich einig, dass die Histadruth mit dem Arbeitskampf gezeigt hat, wie viel Macht und Rückhalt sie noch hat. So streikten die Angestellten im öffentlichen Dienst, weil den Leiharbeitern die Kündigung drohte, falls sie selbst gestreikt hätten. Zudem sparte die Gewerkschaft etwa den Busverkehr oder das Sozialamt aus, um die Öffentlichkeit nicht gegen die Streikenden aufzubringen.
Kaum hatte der Streik am Mittwochmorgen voriger Woche begonnen, begaben sich die Verhandler der Gewerkschaft in einen Verhandlungsmarathon mit dem Finanzministerium, der dort als »Psychoterror« beschrieben wird: Jedes Mal, wenn die Regierungsvertreter nach Hause wollten, ließ die Histadruth dem Arbeitsgericht, dass den Ausstand jederzeit hätte beenden können, ausrichten, die Regierung weigere sich, zu verhandeln - mit dem Ergebnis, dass die Verhandlungen nur von kurzen Schlafpausen und dem jüdischen Ruhetag am Samstag unterbrochen wurden.
Die Lehrer, Sozialarbeiter, Erzieher sind im Deal hingegen ausgespart. Für sie fordert die Gewerkschaft Festanstellung, Sollte die Regierung nicht darauf eingehen, wollen sie ab der der kommenden Woche selber streiken. »Wir glauben nicht, dass eine der Firmen das Risiko eingehen wird, jemandem zu kündigen«, sagt eine Sprecherin der Histadruth: »Das ist erst der Anfang.«
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