Friedliche Revolution statt nackter Gewalt

  • Heiko Wimmen
  • Lesedauer: 4 Min.
Heiko Wimmen ist Doktorand bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die unter anderem die Bundesregierung und den Bundestag in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik berät.
Heiko Wimmen ist Doktorand bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die unter anderem die Bundesregierung und den Bundestag in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik berät.

Nahezu alle vorstellbaren und in der Öffentlichkeit diskutierten Szenarien zur Entwicklung der Lage in Syrien implizieren eine Fortsetzung oder gar eine kata-strophale Eskalation der Gewalt. Die Fortdauer der Repression bis zur endgültigen Zermürbung des Widerstandes - eindeutig die Strategie des Regimes - wird einen langen Atem und entsprechend viele Opfer fordern. Zu viele Menschen sind an dem Aufstand beteiligt und müssen mit dem Schlimmsten rechnen, sollten die Assads jemals wieder fest im Sattel sitzen.

Eine militärische Intervention von außen - das unwahrscheinlichste aller Szenarien, angesichts der Risiken und der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA - wird weite Teile der Bevölkerung sowie das Militär in Unterstützung des Regimes zusammenschweißen: Baschar al-Assad ist nicht Saddam Hussein und Syrien nicht Irak; die Anzahl der potenziellen Opfer von Krieg und Besatzung könnte um ein Vielfaches höher liegen. Eine Spaltung des Regimes schließlich, und in der Folge der Armee und der Sicherheitskräfte, könnte der Auftakt zu einem wahrhaft apokalyptischen Szenario sein: schwer bewaffnete Einheiten verschiedener Fraktionen, die sich mit direkter Unterstützung regionaler Mächte (Iran, Saudi-Arabien) in dicht besiedeltem Gebiet bekämpfen und auf religiöse und konfessionelle Solidarität zurückgreifen. Ein Szenario, das an Bosnien oder Libanon erinnert, aber mit einer fünfmal höheren Bevölkerungszahl und chemischen Waffen als weitere Zutaten.

Verhandlungen und nationaler Dialog zur Einleitung eines geordneten Übergangsprozesses mögen angesichts solcher Schreckensszenarien als die einzig vertretbare Alternative erscheinen. Allein ein nationaler Dialog setzt voraus, dass das syrische Regime seine Widersacher als legitime Vertreter wenigstens eines Teils der syrischen Gesellschaft akzeptiert (und entsprechend die Gewaltanwendung beendet), wofür es keinerlei Anzeichen gibt. Darüber hinaus müsste jeder ernstzunehmende Übergangsprozess unvermeidlich mit einem Ende des Machtmonopols des al-Assad-Clans beginnen - und würde damit einen rapiden und durch das Regime nicht steuerbaren Verfall seiner Herrschaftsstrukturen einleiten. Ob mit den Schlächtern von Damaskus überhaupt noch verhandelt werden kann oder darf, darüber mag man sich moralphilosphisch streiten - die praktische Wahrscheinlichkeit, dass es dazu kommt, ist unter Null.

Das einzige vorstellbare Szenario ohne massive Gewaltanwendung bleibt damit, dass weite Teile der politischen und administrativen Strukturen ab einem bestimmten Punkt dem Regime die Gefolgschaft verweigern und so seine Abdankung erzwingen. Solch ein Szenario mag unwahrscheinlich erscheinen, aber es ist nicht unmöglich: Laut Aussage des Anfang Januar nach Ägypten geflüchteten hochrangigen Funktionärs Mahmud Haj Hamad denken 80 Prozent seiner Kollegen darüber nach, genau diesen Schritt zu tun - und scheuen zumeist vor allem aus Furcht um ihre Familien davor zurück. Aber selbst wenn es nur 20 Prozent sein mögen: Historische Beispiele - etwa aus Osteuropa - belegen, dass eine kritische Masse von Bürgern und Funktionsträgern, die sich einem totalitären Regime verweigern, eine Kettenreaktion in Gang setzen können, die dann auch die vornehmlich um die eigenen Interessen besorgten Teile der Bevölkerung erfasst - und sei es aus purem Opportunismus.

Was kann getan werden, um eine solche Entwicklung zu befördern? Signale von der syrischen Opposition, dass es, anders als in Irak, in Syrien auch für ehemaligen Baathisten eine Zukunft geben kann, solange kein Blut an ihren Händen klebt, wären hilfreich. Dringend notwendig wären auch klare Botschaften an die Minderheiten - besonders an die Alawiten, aber auch an Christen und Kurden, um so der auf ethnische und religiöse Spaltung ausgerichteten Propaganda des Regimes entgegenzuarbeiten. Dazu gehört eine klare Abgrenzung von radikal-islamistischen Tendenzen in den eigenen Reihen und, soweit möglich, die aktive Bekämpfung jihadistischer Trittbrettfahrer, die dem Regime das Geschäft mit der Angst erleichtern.

Auf internationaler und diplomatischer Ebene schließlich führen alle Wege nach Moskau: russische Interessen müssen berücksichtigt werden, es muss klar sein, dass die Zeiten imperialer Alleingänge - etwa auch gegen Iran - endgültig vorbei sind. Nicht, weil durch eine Resolution im Sicherheitsrat das syrische Regime zu Fall gebracht werden könnte. Sondern weil der Verlust des wichtigsten noch verbliebenen Verbündeten ein entscheidendes Signal setzen würde, dass al-Assads Ende nahe ist. Genau solche Signale braucht es, um eben dieses Ende herbeizuführen - ohne Intervention, Krieg und ethnische Säuberungen.

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