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Kritik an Stasi-Überprüfung
Anwalt: Poppe-Kommission hätten wegen Befangenheit abgelehnt werden müssen
Ein parlamentarischer Vorgang hat nicht deshalb Sinn oder gar Berechtigung, bloß weil er stattfindet. In einem Brief an den Landtagspräsidenten Gunter Fritsch (SPD) unterzieht Rechtsanwalt Michael Kleine-Cosack aus Freiburg den jüngst abgeschlossenen Prozess der Stasi-Überprüfung der Abgeordneten einer vernichtenden Kritik. Kleine-Cosack ist schon als Sachverständiger für verschiedene Parteien bei Anhörungen des Bundestags aufgetreten und hat sich nach eigenem Bekunden als Publizist in Fach- und Tageszeitungen intensiv mit Fragen des Umgangs mit der DDR-Vergangenheit beschäftigt.
Dabei müsse den elementaren und im Prinzip für alle Bürger geltenden rechtsstaatlichen und demokratischen Grundsätzen Rechnung getragen werden, unterstreicht der Anwalt in seinem Brief, der »nd« vorliegt. »Die Verfassung steht auch nicht unter MfS-Vorbehalt.« Aufgrund einer Dämonisierung der Rolle des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) sei jedoch bei der Abgeordnetenüberprüfung, wie sie kürzlich im Landtag stattfand, das Gegenteil praktiziert worden. Diese Überprüfung war nach Ansicht von Kleine-Cosack »in vielfacher Hinsicht« mit rechtsstaatlichen und demokratischen Grundsätzen nicht zu vereinbaren. Eine vergleichbare Summierung von Rechts- und Verfassungsverstößen sei ihm noch nicht vorgekommen.
Eine objektive Wertung habe man schon deshalb nicht erwarten können, weil die zuständige Poppe-Kommission »völlig einseitig besetzt« gewesen sei. »In einem rechtsstaatlichen Verfahren hätte man alle Mitglieder wegen Befangenheit ablehnen müssen.« Denn bei ihnen habe es sich durchweg um Personen gehandelt, »welche für ihre einseitige Beurteilung von MfS-Kontakten bekannt« gewesen seien. Eine objektive und faire Überprüfung hätte erfordert, auch solche Menschen in die Kommission zu bestellen, »die der Aufarbeitungspraxis und dem Stasiwahn kritisch gegenüberstehen«.
Das eigentliche Verfahren nannte der Experte »rechtsstaatlich schlicht indiskutabel«. Die Kommission habe Beschuldigte mit Akten konfrontiert, »welche ihnen vielfach nicht bekannt waren«. Damit seien elementare verfassungsrechtliche Grundsätze missachtet worden.
Ferner tadelte der Anwalt, dass sich bei dem Verfahren im Wesentlichen auf MfS-Akten gestützt wurde, ohne dass sowohl der Wahrheitsgehalt als auch die Bedeutung der darin enthaltenen Angaben überprüft worden wäre. Es seien keine Zeugen in Anwesenheit der Betroffenen gehört worden. »Soweit die Abgeordneten selbst die Vernehmung von Entlastungszeugen angeregt hatten, war die Kommission daran nicht interessiert.«
Der Anwalt vertrat in seinem Brief die Position, dass es »durch nichts zu rechtfertigen« sei, Abgeordnete nur wegen jahrzehntelang zurückliegender und meist geringfügiger MfS-Kontakte zu überprüfen. Das verbiete die verfassungsmäßig verbürgte Gleichheit aller Abgeordneten. Allenfalls bei zeitnahen und vor allem strafbaren Handlungen hätte aus seiner Sicht eine Ausnahme stattfinden dürfen. Er unterstrich: Das von der Poppe-Kommission durchgeführte Verfahren habe das im Datenschutzrecht anerkannte »Gebot des Vergessens« missachtet. »Der Rechtsstaat kennt aus Gründen der Rechtssicherheit, des Rechtsfriedens … das Institut der Verjährung und des Vertrauensschutzes.« Hinzu komme, dass der Bericht »überhaupt keine neuen und wesentlichen Erkenntnisse« gebracht habe, sondern nur der Öffentlichkeit bestens bekannte »Uraltvorgänge aufliste, die »im Regelfall seit zwei Jahrzehnten bekannt gewesen« sein.
Für den Anwalt ist es »weitaus sinnvoller«, einmal den Ursachen nachzugehen, welche im Rahmen der Stasijagd für »Gesetzes- und Verfassungsverstöße maßgeblich waren«.
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