Piratenkahn in schwerer See
Alter Kapitän trat nicht mehr an, neuer Landesvorsitzender macht sich gleich unbeliebt
Erfolg macht hungrig, möchte man meinen. Nicht so bei Gerhard Anger. Der 36-Jährige sitzt an der Bar in der Universal Hall in Berlin-Moabit. Um ihn herum brummt die sogenannte Landesmitgliederversammlung der Berliner Piraten, zu der rund 340 Parteimitglieder gekommen sind. Anger könnte sehr mit sich zufrieden sein, schließlich hatte er als Landesvorsitzender im vergangenen Jahr großen Anteil am kometenhaften Aufstieg der Berliner Piraten, die mit sensationellen 8,9 Prozent ins Abgeordnetenhaus einzogen, seitdem ihre Mitgliederzahl auf fast 2500 verdreifacht haben und in Umfragen inzwischen vor der Linkspartei liegen.
Dennoch hat Anger soeben überraschend erklärt, dass er nicht noch mal antreten will - und damit seine Parteifreunde kalt erwischt. Er halte die »emotionale« Belastung nicht mehr aus, sagt er. Und: »Ich hatte in der ganzen Amtszeit das Gefühl, alles lösen zu müssen.« Gemeint sind innerparteiliche Probleme und Kontroversen. Am Ende, vor allem nach der Affäre um das Parteiausschlussverfahren gegen Sebastian Jabbusch, ließ ihn der Druck nicht mehr schlafen und essen, schildert »GA«, wie sie ihn hier nennen und schätzen, dem »nd«. Ab sofort legt er deshalb seine politische Karriere auf Eis. Seinem Nachfolger rät Anger, sich im Nein-Sagen zu üben und »Langmut« zu zeigen.
Vielleicht hätte Hartmut Semken seinem Vorgänger besser zuhören sollen, bevor er nach seinem Wahlsieg für den Landesvorstand an diesem Sonnabend vor die Mikrofone tritt. Denn der 45-jährige Semken, der sich gegen drei Mitbewerber mit 53 Prozent der abgegebenen Stimmen klar durchgesetzt hatte, sorgt mit Interviewäußerungen gleich für einen Eklat. Dem »Tagesspiegel« sagt er, er sei von der bisherigen Leistung der Parlamentarier nicht begeistert. Konkret wird Semken nicht - alle Bemerkungen, die ihm dazu einfielen, seien »nicht zitierfähig«.
In der Piraten-Fraktion stoßen diese Äußerungen sauer auf. »Der administrierende Vorsitzende kackt der Fraktion erst mal schön auf den Teppich«, twittert der Piraten-Abgeordnete Christopher Lauer im Internet. Der eloquente Abgeordnete rät dem frisch gewählten Landesvorsitzenden überdies, es ohne Kontakt zur Fraktion und Vorstandserfahrung ruhig angehen zu lassen. Querelen, die natürlich ein gefundenes Fressen für die Hauptstadtmedien darstellen.
Dabei hatte Hartmut Semken in seiner Bewerbungsrede noch erklärt, er erwarte vom Landesvorstand, sich gegenüber der Presse in besonderer Zurückhaltung zu üben. Die 160 Parteimitglieder, die Semken wählten, dürften dies nicht zuletzt auch deshalb getan haben, weil dieser betonte, sich als Landesvorsitzender nicht in inhaltliche Diskussionen einmischen zu wollen. »Die Inhalte bestimmt die Basis«, hatte Semken erklärt.
Mit dieser Positionierung als Sachverwalter des Landesverbandes und nicht als mediales Aushängeschild hebt sich der neue Piraten-Kapitän vor allem von seiner Konkurrentin Katja Dathe ab. Die 42-jährige Designerin hatten vor allem die Medien nach dem Rückzug Angers von der Wahl als Favoritin gesehen. Doch mit der Forderung nach einer »Professionalisierung« und dem Einstellen von Mitarbeitern, die künftig die »Drecksarbeit« der Mitgliederverwaltung, des E-Mail-Beantwortens und der Postdienste des Vorstandes erledigen sollen, traf Dathe nicht den Nerv der Parteimitglieder. Die entschieden sich lieber für Semken, der statt mit Festangestellten lieber mit »Freiwilligen« weitermachen will. Ob das bei einem gleichbleibenden Wachstum des Landesverbandes realistisch ist, wird sich zeigen.
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