Assad hat viele Gelegenheiten verpasst
Prof. Udo Steinbach: Saudi-Arabien sieht in Syrien den Brückenkopf iranischer Interessen
nd: Der UN-Menschenrechtsrat wollte am gestrigen Mittwoch über eine Syrien-Resolution abstimmen. Die Einbringer, darunter Katar, Kuwait und Saudi-Arabien, fordern darin Syrien auf, der UNO und Hilfsorganisationen »ohne Einschränkungen« Zugang zur Bevölkerung zu gewähren, insbesondere in der seit Wochen unter Beschuss stehenden Großstadt Homs. Die syrische Delegation hatte den Saal zu dem Zeitpunkt bereits verlassen. Diesem Ansinnen hätte sie doch eigentlich ohne Not zustimmen können, oder was meinen Sie?
Steinbach: Nach allem, was geschehen ist, hätte ich Zweifel gehabt, dass die syrische Seite dieser Resolution zustimmt. Man hat ja Erfahrungen gemacht mit den Beobachtern der Arabischen Liga, da ist von Manipulation die Rede gewesen. Ich glaube, wenn das Regime tatsächlich Beobachter ins Land und diese sich frei bewegen lässt, kommen Dinge ans Licht, die bisher zu vertuschen versucht wurde.
Seit Monaten hören wir Meldungen über Tötungen von Zivilisten durch die Armee, meistens mit dem Schlusssatz versehen, eine Überprüfung der Angaben sei nicht möglich. Sie halten also diese täglichen Nachrichten doch für glaubwürdig?
Ja, bei allen Vorbehalten, die ich gegenüber den Medien habe, bei allen Vorbehalten, die ich auch gegenüber der Berichterstattung vor dem Libyen-Einsatz der NATO gehabt habe. Ich unterstelle, dass da tatsächlich Einseitigkeit bestand, möglicherweise auch jetzt noch besteht. Aber am Tatbestand, dass es hier zu einer massiven Konfrontation gekommen ist, zu einer Art Bürgerkrieg zwischen breiten Teilen der Bevölkerung, halte ich fest. Ich spreche ausdrücklich nicht von der Bevölkerung, ich spreche auch nicht von allen Teilen der Bevölkerung, ich spreche von breiten Teilen der Bevölkerung auf der einen Seite und dem Regime auf der anderen Seite.
1982 haben die Assads ein Massaker in der Großstadt Hama angerichtet, ohne dass es von Saudi-Arabien oder anderen Staaten nennenswerte Proteste gab. Wie erklären Sie sich diesen Umschwung und diese Isolation, in die Syrien jetzt gekommen ist?
Zum einen haben sich wirklich die Zeiten geändert. Wir sehen flächendeckend im arabischen Raum, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, eine Revolte gegen die Machthaber. Das ist das eine. Das andere ist, dass wir nicht mehr in der machtpolitischen Situation, auch nicht mehr in der Großwetterlage sind, die im Jahre 1982 herrschte, als Syrien als eine Art Lakai der Sowjetunion galt und hinter den Saudis die Amerikaner standen, also jede Einmischung am Boden, namentlich in Syrien, die Gefahr mit sich gebracht hätte, dass es zu einer größeren, wenn nicht gar globalen Auseinandersetzung kommt.
In den vergangenen zwölf Monaten hat sich in vielen Teilen der arabischen Welt etwas verändert. Das kann niemand ignorieren. Wenn der Generalsekretär der Arabischen Liga heute ein Ägypter ist, dann ist das nicht mehr ein Gefolgsmann Mubaraks, sondern jemand, der dem ägyptischen Volk, wenn Sie so wollen, der neuen herrschenden Kraft in Ägypten, verantwortlich ist. Das schafft eine andere Ausgangssituation.
Insbesondere die Saudis sind gegen das Regime in Syrien eingestellt. Das heißt nicht, dass sie für einen Putsch wären oder für eine Demokratisierung Syriens. Ein Regime wie das saudische hat natürlich einen Hintergedanken, eine politische Agenda. Und die hat weniger mit dem syrischen System zu tun als mit der Tatsache, dass dieses syrische Regime der Brückenkopf der iranischen Interessen in der arabischen Welt ist. Also man haut den Sack und meint den Esel. Man möchte durch eine Schwächung des Regimes eine Schwächung des iranischen Einflusses in der Region erreichen.
In Syrien herrscht das für arabische Verhältnisse am meisten laizistische Regime. Ist das ausschlaggebend für die harte Gegnerschaft der anderen?
Nein, das glaube ich nicht. Wenn es um Saudi-Arabien geht und Saudi-Arabiens Einfluss in der Syrien-Frage, dann hat das weniger mit Syrien zu tun, als mit dem starken iranischen Einfluss auf der syrischen Seite.
Die deutsche Regierung, wie überhaupt alle westlichen Staaten, erklärt immer wieder ihre völlige Verständnislosigkeit gegenüber der Haltung Chinas und Russlands. Wie deuten Sie die Motive in Moskau und Peking im Unterschied beispielsweise zu deren Position im Fall Libyens?
Ich denke, man sollte sich einer emotionalen Kritik an der Haltung Moskaus und Pekings in der Syrien-Frage enthalten. Man sollte hier ausschließlich über Interessen nachdenken. Wie oft haben die Vereinigten Staaten Resolutionen im Sicherheitsrat blockiert, wenn sie Israel betroffen haben, die USA haben in nicht wenigen Fällen gegen die gesamte internationale Gemeinschaft gestimmt. Also muss die Frage lauten: Welche Interessen hat Russland? Syrien ist spätestens seit der Machtübernahme der Baath-Partei 1963 ein strategischer Partner Moskaus. Das zweite ist, dass Russen und Chinesen, die den Libyen-Einsatz der NATO durch Enthaltung ermöglichten, sich über den Tisch gezogen fühlen müssen durch das, was hinterher geschehen ist. Das kann niemand kleinreden. Und die, die jetzt die Nase vorn haben, wenn es um wirtschaftliche Interessen geht, sind natürlich diejenigen, die bei der NATO mitgemacht haben. Ich denke, das ist eine Erfahrung, die man in Moskau nicht noch einmal machen möchte, und in gewisser Weise ist das zu verstehen. Hinzu kommt, dass jetzt in Moskau Wahlkampf ist. Putin kann die russische Politik in der Syrien-Frage als eine Art Standhaftigkeit preisen gegen einen abermaligen Versuch des Westens, seine Interessen in Syrien mit dem Sturz Assads einseitig durchzusetzen.
Es gab doch ein recht stabiles Machtgefüge in Syrien, das er aufgebaut beziehungsweise übernommen hatte. Wann und wodurch ist das kaputtgegangen?
Assad hat eine Reihe von Gelegenheiten gehabt, das System schrittweise zu öffnen, zu demokratisieren, zu pluralisieren, in Rechtsstaatlichkeit zu überführen. Die hat er verpasst. Das bezieht sich auf die Phase nach seiner Machtübernahme im Jahre 2000, das bezieht sich aber auch auf die Zeit seit Beginn der jetzigen Revolte. Assad hat immer wieder den Fehler gemacht, dass er anstatt sehr schnell die politischen Impulse aufzugreifen, die Ursachen der Revolte auf das Ausland geschoben und damit bagatellisiert und marginalisiert hat. Damit war irgendwann der Zug für politische Reformen abgefahren. Von der Verfassungsänderung, über die am Sonntag abgestimmt worden ist, wollte eigentlich niemand mehr so richtig etwas wissen.
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