Irans Hardliner in der Klemme
Parlamentswahlen sind ein wichtiger Gradmesser für die Stimmung im Lande
Irans Parlament ist nicht das höchste Machtorgan im Lande. Dennoch sind die Parlamentswahlen ein wichtiger Gradmesser für die politische Stimmung in der islamischen Republik. Den Hardlinern bereiten sie offenbar große Sorgen. Der oberste Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei warnte bereits während des Fastenmonats Ramadan im August, die Parlamentswahlen dürften die innere Sicherheit nicht gefährden. Das war eine deutliche Anspielung auf die Unruhen nach den Präsidentschaftswahlen im Juni 2009, als es über Monate zu Demonstrationen von Anhängern der unterlegenen Kandidaten kam, verbunden mit schweren Ausschreitungen und drakonischen Strafen gegen sogenannte Rädelsführer.
Die »Reformer« hielten sich jedenfalls in diesem Jahr im Wahlkampf auffällig zurück. Und dennoch: Die damaligen Proteste, die grundlegenden Veränderungen im Nahen Osten und der Vertrauensverlust angesichts der Wirtschaftspolitik von Präsident Mahmud Ahmadinedschad haben dazu geführt, dass die Konservativen um den Religionsführer fürchten, ihre Rivalen könnten die Wahlen gewinnen. Deshalb haben sie die »Einheitsfront 7+8« gegründet. Diese Front ist das Ergebnis einjähriger Bemühungen, ehemalige Minister zu mobilisieren. Die alten Politiker, als »traditionelle Rechte« bekannt, versuchen alle konservativen Kräfte zu bündeln.
So wie sie vor den Wahlen agierten, haben sie offenbar Angst davor, dass die Wähler ihnen die Stimmen verweigern. Sie sehen sich deshalb zu einer vielgesichtigen Strategie gezwungen. Das Wählervotum müssen sie vor allem aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen fürchten. Denn die Regierenden haben praktisch keine ihrer diesbezüglichen Versprechungen der vergangenen Jahre erfüllt.
Als echtes Problem könnte sich für die Konservativen das Verhalten der Reformer zu den Wahlen herausstellen. Einerseits wollen die Herrschenden, dass die »Gemäßigten« an der Abstimmung teilnehmen, um das Wahlklima im Lande zu verbessern und die Abstimmung vor internationalen Beobachtern zu legitimieren. Andererseits sind die Hardliner besorgt, dass die Annahme einiger Bedingungen der Reformer zur ungewollten Anerkennung dieser ihrer Konkurrenten führen könnte. Die werden deshalb erbarmungslos als Marionetten des Westens, als Unruhestifter und Volksverhetzer diffamiert. Besonders heftige Angriffen sah sich Expräsident Mohammad Chatami ausgesetzt, der bekannteste der Reformer, der 2009 die Präsidentschaftskandidatur des früheren Ministerpräsidenten Mir Hossein Mussawi unterstützt hatte.
Die wohl größte Gefahr für die Hardliner um den konservativen schiitischen Klerus ist jedoch die Präsenz einer politisch starken Fraktion neben Präsident Ahmadinedschad. Diese Gruppe um Esfandiar Rahim Maschaie, den Leiter des Präsidialamtes, ist für sie zum Albtraum geworden, weshalb sie versuchen, seinen Einfluss auf den Präsidenten auf ein Minimum zu reduzieren. Die Maschaie-Gruppe verfügt über viel Macht und Vermögen, was für die Teilnahme an Wahlen natürlich bedeutsam ist.
Dennoch besteht wohl die Absicht, mit Vertretern der Opposition zu koalieren. Die Reformer stellten dafür aber Bedingungen. Vor allem verlangen sie die Freilassung von politischen Gefangenen und die Aufhebung des Hausarrests gegen ihre Köpfe, namentlich Mussawi. Allerdings haben auch sie der Öffentlichkeit bis heute kein langfristiges politisches Programm vorgelegt.
Viele Beobachter vertreten die Ansicht, dass es den beiden Fronten weniger um unterschiedliche Wertvorstellungen als um die Parlamentssitze geht. Die Reformer konnten ihrer Anhängerschaft bisher nicht sagen, welche konkreten Vorstellungen sie für die Zukunft der iranischen Gesellschaft haben. Welche Ziele verfolgen Chatami und andere Reformer, wenn sie an den Wahlen teilnehmen oder sie boykottieren? Welche Zugeständnisse werden sie der herrschenden Regierung gegebenenfalls machen? Welche Reaktionen darf man von ihnen für den Fall erwarten, dass das Regime ihre Bedingungen ablehnt?
Das Volk hat das Recht zu wählen. Von großer Bedeutung ist aber das Wahlsystem. In Iran ist allein die Handzählung der Stimmzettel erlaubt. Schon die Verbesserung dieses Modus auf der Grundlage moderner Technik wäre ein großer Schritt auf dem Weg, den Stimmen der Wähler den gebührenden Respekt zu erweisen.
Viel gravierender aber ist die Tatsache, dass die Kandidaten nicht direkt durch das Volk bestimmt werden können. Der iranische Wächterrat hat auch diesmal zahlreiche ihm nicht genehme Kandidaten ausgeschlossen. Ohne der Öffentlichkeit im einzelnen die Ausschlussgründe bekannt zu geben, teilte das Kontrollgremium mit, dass von 5395 Bewerbern nur 3444 eine Zulassung erhalten haben. So entscheidet der Machtapparat, wer aufgestellt werden darf - mögen die Einzelpersonen nun als Hardliner oder als Reformer gelten.
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