Der letzte Schlick aus dem Boden
Ölkonzerne und Kanadas Regierung setzen auf eine Teersand-Bonanza. Die Pipeline-Träume könnten zu Rohrkrepierern werden
Die Aussicht an Vancouvers Wasserfront in der Nähe des Büroviertels ist spektakulär: Man steht am Burrard-Inlet - einem mächtigen Fjord, der die Zwei-Millionen-Einwohner-Metrople am Pazifik in das urbane Zentrum im Süden und die Vororte Nord- und Westvancouver teilt. Am Südufer ragen rote Kräne in den Himmel, davor stapeln sich im Hafen bunte Container. Im Hintergrund die Bergkulisse.
Langsam schieben sich gewaltige Tanker durchs Bild. Diese beunruhigen Ben West. Aus dem Büro der Umweltorganisation Wilderness Committee, für die er seit einigen Jahren die Klimakampagnen betreut, schaut er direkt auf das Burrard-Inlet. Im Moment passieren pro Jahr 97 Öltanker den Fjord. Jeder ist mit 700 000 Barrel (à 159 Liter) beladen. Wie Zeitbomben gleiten sie durchs Wasser. »Es kann immer zu einer Ölkatastrophe kommen«, sagt der Kanadier.
Eine zähe Mischung aus Sand, Bitumen und Öl
Das Öl, das die Tanker weitertransportieren, kommt über eine Rohrleitung an den Pazifik, die seit 2005 dem US-Unternehmen Kinder-Morgan gehört. »Die Transmountain Pipeline war zu Beginn der 1950er Jahre gebaut worden, um die Westkanadier mit Öl aus der Nachbarprovinz Alberta zu versorgen«, erklärt West. Seit etwa 15 Jahren aber hat in Alberta das Geschäft mit dem Teersand kräftig angezogen. Aus dieser zähen Mischung aus Sand, Öl, Ton, Wasser und dem teerähnlichen Stoff Bitumen ließen sich nach heutigem Stand der Technik 174 Milliarden Barrel Rohöläquivalent pressen. Nach Saudi-Arabien ist Alberta somit das zweitgrößte Ölabbaugebiet der Welt. Bei einem Barrel-Preis von derzeit rund 125 US-Dollar sind die Gewinnmöglichkeiten trotz der kostspieligen Förderverfahren enorm. Die Ölindustrie hat dies längst gewittert.
»Dabei kratzen wir wirklich den letzten Schlick aus dem Boden«, meint West. »Die Folgen für das Klima, die mit der Ölgewinnung verbunden sind, können wir nicht mehr umkehren.«
Albertas Teersande liegen unter einer Waldfläche, die 140 000 Quadratkilometer im Norden der Provinz ausmacht. Um an den kostbaren Energierohstoff zu kommen, muss die riesige Waldfläche zunächst abgeholzt werden. Dann wird in einem sehr aufwendigen Verfahren das Öl aus der zähen Masse herausgewaschen, wozu diese stark erhitzt werden muss. »Dazu werden große Mengen Erdgas verbrannt«, erklärt Ben West und nennt im Schnelldurchgang eine Reihe kompliziert klingender chemischer Fachbegriffe. »Im Grunde heißt dies, Unmengen eines Energieträgers einzusetzen, um einen anderen überhaupt gewinnen zu können«, fasst der lässig gekleidete Endzwanziger zusammen.
Unterm Strich bleibt eine gewaltige Klima-Negativbilanz: Der Ausstoß an Kohlendioxid ist drei bis vier Mal so hoch wie bei der Ölgewinnung aus konventionellen kanadischen Quellen. Beim UN-Klimagipfel im Dezember in Durban waren die Teersande denn auch ein großes Thema. Kurz danach verkündete die kanadische Regierung den Austritt aus dem Kyoto-Protokoll, welches die Verpflichtung zur Senkung des CO2-Ausstoßes beinhaltet. Dem konservativen Premierminister Stephen Harper sind die zu erwartenden Ölmilliarden ganz offenbar wichtiger als das Weltklima.
Doch so ganz problemlos entwickelt sich das Geschäft nicht. In der EU wird derzeit über Klimaauflagen diskutiert, die im Endeffekt auf einen Importstopp für Öl aus Teersand hinauslaufen würden. Auch mit den USA gibt es Probleme: Eigentlich möchte die kanadische Firma TransCanada über eine 2700 Kilometer lange Pipeline namens Keystone XL die Ölfelder in Alberta mit Raffinerien in Texas verbinden. Nach Protesten von Umweltschützern legte US-Präsident Barack Obama das Projekt jedoch im vergangenen Jahr auf Eis. Wie in der vergangenen Woche mitgeteilt wurde, darf nun das Teilstück zwischen den US-Bundesstaaten Oklahoma und Texas gebaut werden - womit jedoch Ölgebiete im Mittleren Westen der USA erschlossen werden sollen.
Kanadas Regierung schielt nach China
Wegen der Widerstände droht die kanadische Seite, das Öl an Länder in Asien mit stark wachsendem Energiebedarf, besonders China, zu verkaufen; neue Handelspartner würden Kanada auch unabhängiger vom großen Nachbarn USA machen. Dann müsste aber eine 1200 Kilometer lange Pipeline vom Abbaugebiet in Alberta quer durch British Columbia bis an einen Exporthafen in der Westküstengemeinde Kitimit gebaut werden. Das Projekt der kanadischen Firma Enbridge, die in Kanada und den USA das weltgrößte Rohöl- und Flüssigkeiten-Pipeline-System betreibt, ist jedoch ähnlich umstritten wie Keystone XL. Die Enbridge-Pipeline würde durch das Flussgebiet des Fraser River führen, der vielen Ureinwohnern seit Generationen eine wichtige Lebensgrundlage bietet. 130 Häuptlinge haben daher Ende des vergangenen Jahres eine Deklaration unterzeichnet, die sich gegen den Bau ausspricht. »Wir werden nicht zulassen, dass unsere Fische, Tiere, Pflanzen, Menschen und unsere Art zu leben aufs Spiel gesetzt wird«, heißt es darin. Auch Umweltschützer schätzen die möglichen Gefahren etwa durch Pipeline-Lecks als zu hoch ein.
Umfragen zufolge sind 80 Prozent der Bevölkerung der Provinz British Columbia gegen den Bau. Das Projekt liegt bis mindestens 2013 auf Eis. Bis dahin halten die kanadischen Genehmigungsbehörden in regelmäßigen Abständen öffentliche Anhörungen in verschiedenen Städten der Provinz ab. Allein in Vancouver haben sich 4000 Menschen angemeldet, um ihre Einwände vorzutragen. »Das hat es in dem Ausmaß vorher noch nicht gegeben«, sagt Ben West. Er geht deshalb davon aus, dass die Pipeline möglicherweise nie gebaut werden wird. »Der Widerstand geht gerade erst los«, sagt er. »Ich könnte mir gut vorstellen, dass er so groß wird, dass die Regierung ihre Pläne am Ende abblasen muss.«
Gerade deshalb verfolgt er wachsam die Entwicklungen beim Pipeline-Betreiber Kinder Morgan. »Er dehnt die Transportkapazitäten still und heimlich immer weiter aus«, erklärt der Klimaaktivist. In der Nähe von Vancouver hat das Unternehmen, das von einem Ex-Manager des Pleite gegangenen US-Konzerns Enron gegründet wurde, ein Verladeterminal, von dem aus das Öl nach Kalifornien und in die Asien-Pazifik-Region weiterverschifft wird.
Und dann schippern die Tanker eben auch durch das Burrard-Inlet vor seinem Bürofenster. »Bevor Kinder Morgan die Trans Mountain Pipeline im Jahr 2005 gekauft hat, zählten wir im Schnitt rund 30 Tanker im Jahr«, berichtet er. Jetzt sind es 97, »und bis 2015 sollen es 300 werden«. Kinder Morgan habe die Pläne nie an die große Glocke gehängt, meint Ben West, und könnte gerade deshalb das Geschäft mit dem Öl machen. »Enbridge ist derzeit das große Thema hier. Doch ich denke, wir sollten Kinder Morgan auf keinen Fall aus dem Blick verlieren.«
Der SMS-Service des Wilderness Committee
Daher hat er als Teil seiner Kampagnenarbeit beim Wilderness Commitee einen SMS-Service eingerichtet. Jede Person, die sich dafür einträgt, bekommt immer dann, wenn ein Tanker durch das Inlet fährt, automatisch eine Textnachricht aufs Handy geschickt. »Wir unterrichten die Leute in Echtzeit, wann immer die Gefahr einer Ölkatastrophe besteht«, sagt der Umweltschützer. Für die Kampagne arbeitet das Komitee auch mit den Tsleil-Waututh zusammen, was soviel bedeutet wie »Menschen des Inlets«. Die Ureinwohnergruppe lebt seit vielen Generationen hier. Wenn Kinder Morgan seine Pläne realisieren könnte, würde fast täglich ein Tanker durch ihr Gebiet fahren.
Nach kanadischem Gesetz müssen die sogenannten First-Nations-Gruppen in Entscheidungen, die ihre Gebiete betreffen, einbezogen werden. Im Fall der Kinder-Morgan-Pläne habe genau dies, erklärt Ben West weiter, nie stattgefunden. »Es könnte dazu in der nächsten Zeit noch eine Reihe an Gerichtsverfahren geben«, sagt der »Vancouverite«. »Die kanadischen Gerichte haben in der Vergangenheit oft das Recht der Indigenen auf von ihnen besiedeltes Land gestärkt. Ähnlich wie bei Enbridge könnte das bedeuten, dass Kinder Morgan eine schwierige Zeit vor sich hat«, sagt er und lacht.
Die sich neigende Wintersonne spiegelt sich golden im Rumpf eines Tankers. Im Hintergrund leuchten weiß die Bergkuppen. Die Aussicht ist spektakulär.
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