Verhältnismäßig auf die Intensivstation geprügelt
Strafanzeige gegen Polizisten wegen brutalen Einsatzes in Münster / Videomaterial vorhanden
Vier Tage nach einem Naziaufmarsch durch Münster hat das polizeiliche Gebaren ein erstes parlamentarisches Nachspiel: Gestern beschäftigte sich der Innenausschuss des NRW-Landtages auf Antrag der Linksfraktion mit dem Vorwurf, eingesetzte Polizeibeamte hätten Gewalttaten gegen Anti-Nazi-Demonstranten verübt.
Auf die »Dringliche Anfrage« antwortete Dieter Wehe, Inspekteur der NRW-Polizei. Er bestätigte den gelegentlichen Einsatz von Schlagstöcken und Reizgas, drei Faustschläge gegen einen 21-jährigen Demonstranten sowie einen »sanften« Schlag gegen die LINKE-Bundestagsabgeordnete Ingrid Remmers. Der oberste Polizist des Landes bewertete den Einsatz aber als »grundsätzlich verhältnismäßig«. Doch werde es eine weitere Nachbereitung geben. Auch Innenminister Ralf Jäger sprach von einem »guten Einsatz«. Dass es nur insgesamt sechs Verletzte gegeben habe, sei »eine gute Bilanz«.
Seit Sonntag beschäftigt der Einsatz Medien und Politik in NRW. Besonders kritisiert wird eine Verhaftung, in deren Verlauf ein 21-jähriger Demonstrant ein Schädel-Hirn-Trauma erlitt. Er musste im Krankenhaus behandelt werden, lag zwischenzeitlich auf der Intensivstation. Nun bestätigte das Polizeipräsidium Münster nd-Informationen, denen zu Folge ein polizeiliches Video von der Verhaftung existiert. »Das Videomaterial steht dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren zur Verfügung«, so ein Behörden-Sprecher auf nd-Nachfrage. Die an der Verhaftung beteiligten Beamten seien namentlich bekannt. Die Polizei habe Strafanzeige gegen sie erstattet, das Ermittlungsverfahren sei an die Staatsanwaltschaft Münster weitergeleitet worden.
Laut Zeugenberichten soll der 21-Jährige, dem Flaschenwürfe und Widerstand vorgeworfen werden, von Polizisten regelrecht verprügelt worden sein, wobei ihn einige Beamte festgehalten haben sollen, während andere zuschlugen. Eine weitere Augenzeugin behauptet, sie habe diese Polizisten aufgefordert, ihre Gewalttaten zu beenden. Daraufhin sei sie von einem der mutmaßlichen Täter in Uniform bedroht worden (»Und Du willst die Nächste sein?«).
Nach Angaben der Linksfraktion im NRW-Landtag musste zudem ein weiterer Anti-Nazi-Demonstrant stationär behandelt werden. Erst am Dienstag habe er das Krankenhaus verlassen können. Bei der Linksfraktion würden sich darüber hinaus laufend Betroffene und Zeugen des Polizeieinsatzes melden. »Viele Menschen, die sich in Münster couragiert den Neonazis in den Weg stellen wollten, erheben ernste Vorwürfe gegen die Polizei«, so Anna Conrads, die innenpolitische Sprecherin der Landtags-LINKEN.
Conrads hatte eigentlich eine »Aktuelle Viertelstunde« im Innenausschuss beantragt. Das ist der kleine Bruder der »Aktuellen Stunde« auf Ausschussebene. Dies hatte die Ausschussvorsitzende Monika Düker mit formaler Begründung abgelehnt: Die Antragsfrist sei abgelaufen - am Montag, dem Tag nach dem Polizeieinsatz, um Punkt 12 Uhr mittags.
Düker ließ Conrads wissen, eine Ausdehnung der Frist komme »in der Regel« nicht in Betracht. Das heißt: Die Ausschussvorsitzende verzichtete bewusst auf eine mögliche Ausnahme. Stattdessen sollte das Innenministerium zunächst lediglich eine schriftliche Stellungnahme vorlegen, so zumindest Dükers Linie bis Mittwoch Morgen. Der Vorgang hat insofern ein Geschmäckle, als Düker der grünen Partei angehört - so wie Münsters Polizeipräsident Hubert Wimber.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.