Beim Lärmschutz wird gespart
Erst fünf Prozent der Schönefeld-Anwohner haben ihn
Keine drei Monate mehr sind es bis zur Eröffnung des neuen Flughafens Berlin Brandenburg (BER) in Schönefeld. Dann wird für die Anwohner im Umfeld der Lärm erheblich zunehmen. Insgesamt 25 500 Haushalte haben deshalb laut Planfeststellungsbeschluss Anspruch auf Schallschutz, davon etwa 8500 in Berliner Siedlungsgebieten wie Bohnsdorf, Schmöckwitz und Müggelheim. Doch erst insgesamt 1200 Wohnungen und Gebäude - kaum fünf Prozent - sind entsprechend mit Lärmschutzfenstern und Lüftern ausgestattet.
Flughafenchef Rainer Schwarz verweist darauf, dass erst 16 000 Hauseigentümer einen Antrag auf Schallschutz gestellt hätten, von 13 550 lägen die vollständigen Unterlagen zur Kostenerstattung vor. Davon seien fast alle bearbeitet und an die Betroffenen zurückgesandt. »Wie beim Bau des Flughafens biegen wir auch beim Schallschutz auf die Zielgerade ein«, sagte er.
Eine optimistische Einschätzung, denn erst 4000 Eigentümer haben den Vereinbarungen zur Kostenerstattung zugestimmt und die Bauarbeiten beauftragt. Dass die Mehrzahl so zögerlich ist, dürfte an der Flughafengesellschaft FBB selbst liegen. Sie berechnet die Lärmschutzmaßnahmen auf einer Grundlage, die nicht dem Planfeststellungsbeschluss entspricht. Der besagt, dass tagsüber in Wohnräumen der Maximalpegel von 55 Dezibel nicht überschritten werden darf. Die FBB hält dagegen eine Überschreitung der Höchstgrenze sechs Mal am Tag für zulässig, obwohl es auch laut Bundesverwaltungsgericht »keinen Raum für die Deutung« gebe, dass »der Maximalpegel von 55 dB(A) auch nur einmal überschritten werden dürfte«.
Mit einem »Klarstellungsantrag« bei der Brandenburger Landesregierung in den nächsten Tagen will die FBB ihre Sichtweise durchsetzen. Denn in dem Streit geht es um sehr viel Geld. Bisher hat die FBB 140 Millionen Euro für den Lärmschutz veranschlagt. Die strengeren Schutzauflagen könnten jedoch weitere 200 Millionen Euro erfordern, schätzt Anwalt Frank Boermann, der mehr als 1000 Anwohner vertritt. »Mit diesem Antrag soll den Betroffenen der Schallschutz vorenthalten werden, der ihnen laut Gericht zusteht«, wirft er der Flughafengesellschaft vor. Das sei ein einmaliger Vorgang in der Geschichte es Luftverkehrs. Planfeststellungsbeschluss und Urteil ließen gar keine Auslegung zu.
Boermann wirft dem Brandenburger Verkehrsministerium Untätigkeit vor und hat die Behörde jetzt aufgefordert, dafür zu sorgen, dass die Flughafengesellschaft die Schallschutzauflagen umsetzt. Boermann verweist auf das Beispiel München, wo Anwohnern, die bei Eröffnung des neuen Flughafens Anfang der 90er Jahre noch keinen Lärmschutz hatten, eine Entschädigung zugebilligt wurde. »In Schönefeld werden sie mit den Lärmschutzmaßnahmen nicht fertig, und wo sie fertig werden, sind sie fehlerhaft.«
Der Verband Deutscher Grundstücksnutzer (VDGN) wirft der Flughafengesellschaft deshalb sogar Betrug vor und hat Strafanzeige gestellt. Sie trickse die Maximalpegel nach unten und täusche beim Ziel des Schallschutzes, so VDGN-Präsident Peter Ohm. »Vielen Betroffenen werden so effektive, aber teure Lärmschutzfenster vorenthalten.« Auch die FBB hat reagiert: Er setzte ein »Kommunikationsteam« ein, um die Bedenken der Anwohner in Sachen Schallschutz, wie ihn der Flughafen versteht, zu zerstreuen.
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