Die Feuertänzer von Mombasa
Für kenianische »Straßenkinder« ist die Kunst mehr als Gelderwerb und Touristenbelustigung
Martin und Isaya stehen unter einem mächtigen Baum hinter einer Freilichtbühne und tauchen Stoffkugeln in Kerosin. Sie tragen weite schwarze Hose und rote Stirnbänder, Oberkörper und Gesichter sind bemalt. Die Bühne wird von zwei Segeln mit Totenköpfen flankiert. Unweit bereiten Angestellte das Buffet für die Gäste des Fünfsternehotels am Strand vor. Auf dessen Programm steht heute eine »Piratennacht«. Am Eingang werden Kopftücher und Augenklappen an die Gäste verteilt. Auch Martin hat eine Augenklappe abgestaubt und lacht, als er sie sich über den Kopf zieht. Ohnehin sieht er auf einem Auge nur noch dunkle Umrisse, seit ihn vor Jahren jemand mit einer Gürtelschnalle schwer verletzt hat.
Das »Moto-Moto-Ding« war die Rettung
Als die Gäste sich mit den Köstlichkeiten des Buffets eingedeckt und an ihren Tischen Platz genommen haben, als auch die Band ihr letztes Stück beendet hat, treten Martin und Isaya auf die Bühne. Mit einem Streichholz setzen sie ihre Poi - in Kerosin getränkte Kugeln an Ketten - in Flammen, und die Show geht los. Die beiden jungen Männer wirbeln und schleudern die Feuerkugeln um ihre Köpfe und ihre Körper. Bisweilen scheinen sie sich gar ineinander zu verknoten, ohne dass die Poi zum Stillstand kommen. Fast geisterhaft erscheinen die bemalten Körper im Licht des Feuers. Die Zuschauer sind beeindruckt.
Martin und Isaya hoffen, dass ihnen der Auftritt weitere Einladungen einbringt, denn dieses Mal wurden sie nur »zur Probe« engagiert. Für 15 Euro, um die Kosten für Kerosin und Anfahrt zu decken. Martin schaut voraus. Er ist der Kopf der Gruppe, zu der neben Isaya auch der Straßenjunge Ishmael gehört. Martin verhandelt mit Managern von Hotels oder Clubs und besänftigt seine beiden Kollegen, wenn die Bezahlung mal schlecht ausfällt. »Manchmal muss man eben umsonst auftreten, um sich bekannt zu machen. Oft ziehen solche Auftritte dann gut bezahlte nach sich.«
Martin ist im Gegensatz zu Ishmael und Isaya kein »Straßenkind« im eigentlichen Sinne, doch auch er hat schwere Zeiten hinter sich. Vier Jahre lang schlief er jede Nacht im selben engen »Matatu«-Bus, in dem er tagsüber als Kontrolleur ein bescheidenes Einkommen fand. Ein streitwütiger Passagier brachte ihm die Augenverletzung bei, ein anderer Kontrolleur biss ihm eine Fingerkuppe ab. Einmal überredete er einen bewaffneten Räuber, sich mit einem Euro zufriedenzugeben. Reden kann Martin gut.
Vor zwei Jahren sah der 30-Jährige einen Kalifornier, der mit Feuerkugeln jonglierte, und bat ihn um Unterricht. Es brauchte einige Monate hartes Training, doch dann konnte Martin Wissen und Können an den Straßenjungen Ishmael weiter geben, der seinerseits Isaya unterwies. Seither treten die Drei als »Moto-Moto-Circus« in Bars und Hotels von Mombasa auf. »Moto« ist das Suaheli-Wort für Feuer, »Moto-Moto« wird auch benutzt, um etwas Aufregendes zu beschreiben. Die Straßenkinder nannten den Feuertanz deshalb von Beginn an »das Moto-Moto-Ding«.
Als »Straßenkinder« werden in Mombasa auch obdachlose Erwachsene bezeichnet. Manche leben schon seit Generationen auf der Straße, in der Innenstadt hat jede Altersgruppe gleichsam ihren eigenen Platz. Während Isaya und Martin sich inzwischen ein kleines Zimmer am Stadtrand gemietet haben, ist Ishmael immer noch ein echter »Survivor« (Überlebender), wie sich die Straßenbewohner hier auch nennen. Fast scheint es, als hielte ihn ein gewisser Stolz auf der Straße. Mit vielen anderen lebt er in einem ausgebrannten Markt- und Parkhaus im Stadtzentrum. Die Wände im Erdgeschoss sind schwarz von Ruß und der Boden ist vermüllt. Zwischen Parketage und Erdgeschoss liegt eine Art Zwischenetage von einem Meter Höhe. Dort schlafen Ishmael und die anderen.
Im Zweitjob Marihuana-Verkäufer
Trotzdem ist er wahrscheinlich der Bestverdienende der drei Feuertänzer. Denn er hat seinen alten »Job« noch nicht aufgegeben: Er verkauft Marihuana. Er wähnt sich sogar unantastbar, weil er auch einigen Polizisten Gras verkauft. Zum Schein werde er gelegentlich festgenommen, erzählt Ishmael, aber sofort wieder freigelassen, nachdem er den Beamten ein paar Joints zu einem guten Preis abgelassen hat.
Das Sicherheitspersonal der Hotels, in denen die drei Feuertänzer auftreten, sieht sich jedes Mal ratlos, wenn Ishmael trotz strikter Sicherheitsvorschriften keinen Ausweis vorlegen kann. Er besitzt nämlich keinen. Nach dem Auftritt kann es passieren, dass er breit grinsend auf der Tanzfläche vor der Bar auftaucht. In viel zu kleinen Plastiksandalen, zerrissenen Jeans und furchtbar dreckigem »Nike«-T-Shirt lächelt er charmant und lässt die Hüften kreisen. Dabei strahlt er mehr Selbstsicherheit aus als viele der herausgeputzten Gäste. Oft ist er allerdings auch angetrunken oder bekifft, wenn er zur Show kommt.
Auf der Straße haben viele »Survivors« jedoch ernstere Drogenprobleme. Fast alle schnüffeln schon in jungen Jahren Klebstoff, um den Hunger zu betäuben. Zu jeder Tageszeit sieht man die mageren Gestalten, in Stofffetzen gekleidet, mit etwas Klebstoff in einer Plastikflasche auf den Bürgersteigen. Im Rausch schlafen sie bäuchlings auf den Bordsteinen, die Flasche klebt ihnen noch an der Unterlippe.
Da Mombasa nahe der tansanischen Grenze direkt auf dem Handelsweg der Droge liegt, ist auch Heroin erschreckend erschwinglich. Umgerechnet zwei Euro können für einen »Schuss« reichen. Dafür riskiert mancher sein Leben. Jamal beispielsweise war über 15 Jahre lang heroinabhängig. Er wurde bei einem der Einbrüche, durch die er sich die Drogen finanzierte, erwischt und wäre von einer wütenden Menge fast zu Tode geprügelt worden. »Aber es passierte auf einer geteerten Straße. Das war mein Glück. Es waren keine Steine in der Nähe, die sie auf mich schmeißen konnten.« Die Polizei rettete Jamal, indem sie ihn festnahm. Heute ist er der Droge entkommen und hilft anderen Heroinabhängigen auszusteigen. Seit einigen Jahren weiß er, dass er HIV-positiv ist.
Kunst mobilisiert Körper und Geist
In einem Vorort Mombasas lebt George*. In gutem Deutsch erzählt er, dass seine Mutter in Hamburg lebt. Seine Augen sehen müde aus. Den Kopf scheint er zwischen seinen Schultern einziehen zu wollen. Nichts ist geblieben von der stolzen Körperhaltung, die viele Afrikaner auszeichnet. »Ich hab heute noch keinen Schuss gehabt, mir tut alles weh.« Viele Jahre habe auch er in Hamburg gelebt - und Drogen verkauft. »Meine Mutter hat mich zurück nach Kenia geschickt, damit ich clean werde.« Auf einen Entzug in Nairobi folgte in Mombasa der Rückfall. »Durch Freunde bin ich wieder auf Heroin gekommen.«
Täglich haben die drei Moto-Moto-Artisten diese Elendsspirale vor Augen. Auf Initiative der 21-jährigen muslimischen Sozialarbeiterin Aisha Omar versuchen sie deshalb, Straßenkinder durch ihren Feuertanz anzulocken und sie dafür zu interessieren. Ihr Projekt verbindet den Tanz als Weg zu mehr Selbstvertrauen mit Aufklärungsunterricht über Drogen und HIV. »Die Kunst fordert Körper und Geist und kann junge Menschen mobilisieren«, sagt Aisha. Auch sie beherrscht den Tanz mit den Feuerkugeln.
*Name geändert.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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