»Es gibt keine Personaldebatte«
Die Grünen machen trotz parteiinterner Kritik den Weg zur Kandidatenkür per Urwahl frei
Die Grünen wollen mit einem Spitzenduo in den Bundestagswahlkampf 2013 ziehen. Diesem soll mindestens eine Frau angehören. Ein entsprechender Beschluss des Bundesvorstandes wurde gestern vom Parteirat unterstützt. Allerdings ist eine Urwahl, die durchgeführt werden soll, wenn mindestens drei Politiker Anspruch auf die Spitzenkandidatur erheben, in der Partei umstritten. Kritiker haben wegen des zu erwartenden Konkurrenzkampfes zwischen den Anwärtern große Bedenken. »Im Interesse der Partei ist es, Personalstreit zu verhindern«, sagte die Fraktionschefin im Europäischen Parlament, Rebecca Harms. Der Bundeskoordinator der grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg, Volker Ratzmann, bezeichnete eine Urwahl als »wenig hilfreich«.
Ungeachtet der parteiinternen Kritik erklärte Parteichefin Claudia Roth, dass der Länderrat der Grünen Ende April in Lübeck die rechtlichen Voraussetzungen für eine Urabstimmung über die Spitzenkandidatur schaffen werde. »Danach werden wir sehen, wer kandidiert und ob es zu einer Urwahl kommt«, so Roth. Das Spitzenduo könne auch auf dem nächsten Bundesparteitag im November in Hannover durch die Delegierten legitimiert werden.
Nachdem bei der Sitzung des Parteirats offenbar erneut Kritik an Roth laut geworden war, weil sie die Debatte um die Spitzenkandidatur angeheizt hatte, versuchte die Parteivorsitzende nun, sich zurückhaltender zu präsentieren. »Über Personal ist heute nicht diskutiert worden. Es gibt keine Personaldebatte«, sagte Roth. Sie habe vor Kurzem lediglich ihre grundsätzliche Bereitschaft bekundet, als Frontfrau für den Bundestagswahlkampf zu kandidieren. Mit ihrem Amt als Parteivorsitzende beiße sich das nicht.
Neben Roth dürfte auch Jürgen Trittin Ambitionen haben, erneut die Grünen im Wahlkampf anzuführen. Der Fraktionsvorsitzende hält sich öffentlich aber noch bedeckt. In der Partei war auch eine alleinige Spitzenkandidatur Trittins diskutiert worden. Diese ist nun vom Tisch.
Viele Realos haben jedoch Bedenken, weil für sie Roth und Trittin »Parteilinke« sind. Der Realo-Flügel - derzeit durch Cem Özdemir und Renate Künast in Partei- und Fraktionsspitze vertreten - fürchtet nun um seinen Einfluss. Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer murrte im Gespräch mit der »Süddeutschen Zeitung«, alle Teile der Partei müssten eingebunden werden. Roth wies die Forderung zurück. »Die Quote betrifft die Geschlechter und nicht die Parteiflügel«, sagte die Parteivorsitzende.
Ob überhaupt ein Vertreter des Realo-Flügels seinen Hut in den Ring werfen wird, erscheint derzeit fraglich. Özdemir steht als Spitzenkandidat wohl nicht zur Verfügung. Und die Chancen für Künast stehen nach der verkorksten Berlin-Wahl im vergangenen Jahr schlecht, wenn sie in einer Urwahl gegen Claudia Roth antreten sollte.
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