Der ökonomische Wert der Natur
Ein neuer Report des UN-Umweltprogramms stellt die Weltmeere in den Dienst der »Green Economy«
Wenn Mitte Juni die UNO in Rio de Janeiro das 20-jährige Jubiläum ihrer legendären Nachhaltigkeitskonferenz feiert, wird die Rede sein vom Konzept der »Green Economy«. Dieser Begriff, von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zur »Leitidee« des Gipfels erklärt, ist eine der brillantesten Propagandalügen dieses Jahrhunderts: Der Anspruch, Kapitalismus kapitalistisch begrünen zu können, ist der Griff von Konzernen, Banken und Regierungen nach den Ressourcen dieses Planeten.
Weil Gier vor nichts halt macht, soll bei der Konferenz »Rio+20« auch die Ausbeutung der Meere auf der Tagesordnung stehen. »Green Economy in a Blue World« - so heißt der Report, mit dem das UN-Umweltprogramm (UNEP) die Ozeane der Welt zum »Füllhorn für Güter und Dienstleistungen« erklärt. Mitautoren sind unter anderem die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) und die Internationale Schifffahrtsorganisation (IMO). Zusammengefasst geht es einmal mehr um das bekannte Credo von Ausbeutungsideologen: Technologischer Fortschritt erlaube heute mehr profitable industrielle Produktion bei geringeren ökologischen Auswirkungen.
Die Sache hat einen Haken, der nicht nur Meeresschützer seit Langem beschäftigt: Wo immer schädliche Einflüsse auf die Meeresumwelt mit technischen Mitteln verringert wurden, hat der Moloch Wachstum diese positiven Effekte alsbald aufgefressen. Jede in einem Punkt erzielte Schadensminderung ist Anlass, die Nutzung an anderer Stelle zu intensivieren - auf niedrigerem Schädigungsniveau, aber summarisch verheerend. Das System ist nicht neu, hat mit »Green Economy in a Blue World« nur einen frischen Anstrich bekommen. Der Anspruch des Reports, Meere und Küsten durch besseres Nutzungsmanagement zu schützen, wäre ehrenwert zu nennen, wenn glaubhaft festgestellt würde, dass dies ohne radikale Eingriffe ins herrschende Wirtschaftssystem nicht geht.
Zunehmende Schadstoffeinträge, Überfischung und Klimawandel hätten die Ozeane arg ramponiert, heißt es richtigerweise. Schlussfolgerung? Mit »grünen« Investitionen müssten die wirtschaftlichen Schäden in Prosperität für kommende Generationen verwandelt werden. Das kratzt nicht einmal ansatzweise an den Ursachen der Misere - und wird deshalb die Situation sowohl der Meere als auch der Küstenbewohner nur verschlimmern.
Der Katalog der beschriebenen Symptome ist vielfältig, die aber sind systemimmanent; unausgegoren und ökologisch mindestens zweifelhaft sind die Schlussfolgerungen. So ruft das UNEP mit Blick auf die geschädigten Mangroven und Korallenriffe, die unverzichtbar für Küstenschutz und das Überleben etlicher Fischarten sind, nach »grünen Technologien und gezielten Investitionen in die Aquakulturwirtschaft«. Die steht aktuell in dem Ruf, Mangrovenwälder zu zerstören und die Schadstoffbelastung der Küstenmeere in die Höhe zu treiben. Der Report ignoriert das ebenso wie die Auseinandersetzung mit der Macht beteiligter Konzerne.
Zudem ist laut UNEP die Seeschifffahrt die sicherste, effizienteste und umweltverträglichste Transportweise. Und deren negative Umweltfolgen? Nur vom Aspekt CO2 ist die Rede, aber weder von Schweröl noch von Flussvertiefungen oder Hafenbau für stetig größer werdende Containerschiffe. Artentransfer per Schiffshaut oder Ballastwasser werden kurz erwähnt, soziale Fragen kommen gar nicht vor - es geht ja um »Green Economy«, nicht um Menschenrechte an Bord ...
Prinzipiell hält UNEP Offshore-Windparks wie auch Gezeiten-, Wellen- oder Strömungskraftwerke für wichtige Optionen im Interesse des Klimaschutzes. Der Report beklagt, es fehlten Gelder für Forschung, Entwicklung, Bürgschaften, Subventionen und steuerliche Vorteile. Ökologische Risiken kommen jedoch nur am Rande vor, die Folgen der Installation oder begleitender Infrastrukturmaßnahmen gar nicht.
Nitrate und Phosphate, Küstentourismus, Tiefseebodenschätze - auch in anderen Teilen entpuppt sich der Report einerseits als hilflos, weil er Schwächen und Folgen bisherigen Wirtschaftens nie ernsthaft in Frage stellt. Andererseits zielt das UNEP in eine falsche Richtung, indem es ökologische und natürliche Gegebenheiten allein in monetären Maßstäben misst. Es ist makaber, wenn der Spaziergang an einem von Müll oder Öl verdreckten Strand zum »Wertverlust« (ökonomisch gemeint!) herabgewürdigt wird. Oder wenn die Wirkung von Pharmazeutika als Beeinträchtigung des »Wertes« Biodiversität gemessen wird. Wer so argumentiert, hat die Ökologie dem wirtschaftlichen Denken und Handeln unterworfen. Überspitzt könnte man den Autoren unterstellen, mit ihrer Argumentation den Weg zu bereiten für eine Differenzierung zwischen »wertem« und »unwertem« Leben in den Ozeanen und an den Küsten.
Der UNEP-Report »Green Economy in a Blue World« findet sich im Internet unter: www.unep.org/pdf/green_economy_blue.pdf
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