Gedenkfeiern und fieberhafte Fahndung
Nach den Morden von Toulouse verordnen sich Sarkozy und Hollande eine Wahlkampfpause
Im Gedenken an die Opfer des Serienmörders, der am Montagmorgen vor einer jüdischen Schule kaltblütig einen Lehrer und drei Kinder erschossen hat, fand am Dienstag um 11 Uhr in allen Schulen Frankreichs eine Schweigeminute statt. Präsident Nicolas Sarkozy nahm an dieser Zeremonie in einer jüdischen Privatschule im Pariser Marais-Viertel teil. Sein sozialistischer Herausforderer im Wahlkampf, François Hollande, wählte dafür demonstrativ eine öffentliche Schule in der Pariser Arbeitervorstadt Saint Denis, die »charakteristisch für die Vielfalt der nationalen Herkunft, Religionen und Kulturen der Menschen in Frankreich und für ihr friedliches Leben miteinander« sei.
Am Dienstagabend verneigte sich Präsident Nicolas Sarkozy dann auf dem Pariser Flughafen Roissy vor den Särgen des Lehrers und der Kinder, die neben ihrer französischen auch die israelische Staatsbürgerschaft besaßen und nun in Jerusalem beigesetzt werden. Für Mittwoch ist in Montauban eine militärische Ehrung für die drei Fallschirmjäger geplant, die schon in der Vorwoche durch den Serientäter in Toulouse und Montauban ermordet worden waren; ein Soldat wurde dabei schwer verletzt. Neben Premierminister François Fillon sowie Verteidigungsminister Gérard Longuet und Innenminister Claude Guéant wird möglicherweise auch dort Präsident Sarkozy dabei sein.
Zusätzlich zur bereits am Montagvormittag gefällten Entscheidung, bis auf weiteres vor allen jüdischen und auch muslimischen Schulen im ganzen Lande Polizeiposten zu stationieren, wurde am Dienstag für acht Departements im Südwesten erstmals in Frankreich die höchste Stufe »Ecarlate« (Hochrot) auf der Skala der Anti-Terror-Maßnahmen ausgerufen. Das bedeutet, dass die Militärstreifen auf Straßen und Plätzen, in Bahnhöfen, Flugplätzen, Kaufhäusern und anderen stark frequentierte Orten oder in den öffentlichen Verkehrsmitteln massiv verstärkt werden und dass dort bei Verdacht oder stichprobenartig Taschen- und Personenkontrollen stattfinden.
Unterdessen läuft die Fahndung nach dem Serienmörder auf höchsten Touren. In der Region sind dafür 200 Kriminalpolizisten zu einer Sonderkommission zusammengezogen worden. Sie werden durch Anti-Terror-Spezialisten und »Profiler« aus Paris unterstützt, die aus den Tatumständen und Zeugenbeobachtungen ein Profil des Täters erstellen wollen. Schon in den ersten Stunden nach einem öffentlichen Aufruf gingen mehr als 5000 Hinweise aus der Bevölkerung ein, die jetzt überprüft werden müssen.
In diesem Zusammenhang gilt bereits als sicher, dass der Mordschütze bei seinen Taten eine kleine Videokamera an einem Band um den Hals getragen und damit seine Morde gefilmt hat. Möglicherweise wollte er die Videos ins Internet stellen. »Das verstärkt den Verdacht, dass es sich um einen Einzeltäter mit gestörter Psyche handeln könnte, der sich mit Gewalt einen Platz in den Medien und in der Geschichte sichern will«, meinte einer der Fahnder gegenüber der Presse. Besonders intensiv laufen offenbar Ermittlungen in Richtung ehemaliger Militärs, die durch traumatisierende Erlebnisse geschädigt oder in der Vergangenheit bereits wegen gewalttätiger, rassistischer und antisemitischer Ausfälle auffällig wurden bzw. rechtsextremen Parteien und Organisationen nahestehen.
Nach dem Mord in Toulouse haben die beiden Spitzenkandidaten der bevorstehenden Präsidentschaftswahl, Sarkozy und Hollande, übereinstimmend eine zweitägige Pause ihres Wahlkampfes beschlossen. Die anderen Kandidaten fühlten sich daran aber nicht gebunden. Der Zentrumspolitiker François Bayrou hat am Montagabend seine in Grenoble anberaumte Wahlkampfveranstaltung kurzerhand zu einem »Forum des Nachdenkens« über die Ursache für derartige Gewalttaten umgewandelt.
Dabei schätzte er ein, dass die Gesellschaft »krank« sei; als Ursache nannte er nicht zuletzt »Politiker, die durch ihre scharfmacherischen Äußerungen das Übel heraufbeschwören und anfachen«. Dass dies ganz eindeutig gegen die jüngsten ausländerfeindlichen Ausfälle von Präsident Sarkozy und seinem Innenminister und Freund Claude Guéant zielte, konnte man schon an den empörten Reaktionen führender Politiker der rechten Regierungspartei UMP ablesen.
Jean-Luc Mélenchon, der Präsidentschaftskandidat der Linksfront aus Kommunisten und Partei der Linken, erklärte, den Wahlkampf trotz der Mordserie fortzusetzen sei »ein Akt des Widerstands und ein Zeichen, dass wir uns nicht durch einen verrückten Verbrecher unser Handeln diktieren lassen«.
Hintergrund
Präsident Nicolas Sarkozy hat am Montagabend für den Großraum Toulouse erstmals die höchste Alarmstufe verhängt. Aus Sorge vor möglichen Terroranschlägen gilt in Frankreich seit 2005 die zweithöchste Stufe des Alarmplans »Vigipirate«. Sie sieht auf allen öffentlichen Plätzen Patrouillen von Polizisten und Soldaten vor. Ausgerufen wurde sie nach den Selbstmordanschlägen 2005 in London. Der Begriff »Vigipirate« setzt sich aus »vigilance« (Wachsamkeit) und »pirate« (Seeräuber, Bandit) zusammen. Ausgearbeitet wurde der Plan mit den Stufen gelb, orange, rot und scharlachrot von der beim Premierminister angesiedelten Abteilung Nationale Sicherheit. 1981 entworfen, wurde er nach dem 11. September 2001 mehrfach verschärft. Zuletzt waren rund 3400 Polizisten und Soldaten abgestellt. Die jetzt verhängte höchste Alarmstufe weitet die Maßnahmen noch aus, etwa durch Kontrollen in Zügen, von Fahrzeugen und Gepäck oder Luftraumbeschränkungen. Auch die kommunale Polizei wird nun bewaffnet. dpa/nd
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