Der Schwinger-Club
Das International Design Museum Munich zu Gast im Bauhaus-Archiv
Der Stuhl ist ein ganz besonderes Möbelstück. Er kann in Form eines Throns Rang verleihen, diesen in Form eines Schemels entziehen. Er hat eine engere Beziehung zum Nutzer als es jeder Tisch je haben wird. Er ist so im Wandel der Zeit mehr als jedes andere Möbelstück ein Indikator sozialen Wandels geworden. Seit 85 Jahren gibt es nun die berühmten Stühle ohne Beine, die sogenannten Freischwinger. Diese wurden zwar nicht am Bauhaus erfunden, doch keine andere Designschule hat sich der Sitzgelegenheit mit den gewunden Stahlrohren mehr verschrieben. Und so gerät das Bauhaus-Archiv dieser Tage in Schwingung. Heute wird eine neue Sonderausstellung mit einer Sammlung der schwebenden Sitzgelegenheiten aus dem International Design Museum Munich eröffnet.
»Es gibt kein Objekt, das die Aufbruchsstimmung der 20er Jahre besser symbolisiert als den Stuhl ohne Beine«, erklärt Annemarie Jaeggi, Direktorin des Bauhaus Archivs. Jenes Museum nach Plänen von Walter Gropius präsentiert nun nicht nur die Entstehung der Design-Ikone in der Dauerausstellung, sondern mit den Leihgaben aus München auch deren weitere Entwicklung.
Auch für Florian Hufnagl, Sammlungsdirektor des Design-Museums München, ist der Stuhl im allgemeinen »das Design-Objekt schlechthin«. »Jedes Jahr werden Tausende neuer Stühle entworfen. Meiner Meinung nach Tausende zu viel«, so Hufnagl. »Schließlich ist der Stuhl längst erfunden.« Wie bedeutsam jene Erfindung war, verdeutlicht er mit der historischen Abbildung eines schwebenden Sufis. »Der Stuhl befreit den Menschen von der Last, er lässt ihn im besten Falle schweben.«
Bunt und künstlich, dicht an dicht arrangiert wie bei einer Kunstinstallation und ansteigend angeordnet wie ein Publikum, überfahren die Stühle als bunte Parade zunächst den Betrachter. Da ist etwa der 1959 entworfene, heute noch hergestellte Klassiker von Verner Panton. Ein trotz seines Pinks sachlicher Stapelstuhl. Das ebenso von Panton geschaffene Pendant aus Holz ist jedoch laut Hufnagl »nicht ungefährlich« - das Material hält der Spannung auf Dauer wohl nicht stand. Denn Freischwinger sind nicht nur klare, elegante und zum Teil auch schrille Objekte. Sie setzen Wissen über Statik und Berechnungen voraus, zahllose Exemplare brachen im Laufe der Entwicklung einfach durch. »Man könnte eine ganze Ausstellung mit den Fehlentwicklungen füllen, die vor den funktionstüchtigen Stühlen geschaffen wurden«, so Hufnagl. Entstanden ist die geschwungene Stahlform angeblich, indem Gasrohre ineinander gesteckt wurden.
Auch aus DDR-Produktion werden drei Beinlose ausgestellt. Etwa der auf Mies van der Rohes »Barcelona Chair« beruhende Foyer-Sessel von Rudolf Horn aus dem Jahre 1965, gefertigt in Potsdam. Im Gegensatz zum Plagiat wurden bei van der Rohe Verbindungen geschweißt - ein Verfahren, dem die Forscher heute mit Röntgenbildern auf die Spur kommen wollen. Von Ernst Moeckl aus Schwedt stammt ein 1971 entworfener Stapelstuhl, nach Winfried Stäb wurde seit 1969 ein Armsessel in Schwartzheide gefertigt.
Wie Bauhaus-Chefin Jaeggi ordnet auch der Oberkonservator des Design-Museums München, Josef Straßer, die Entwicklung des frei schwingenden Stuhls als Spiegel der gesellschaftlichen Veränderungen ein. Dazu zählt er etwa, dass Marcel Breuer und Mies van der Rohe nach den Entwürfen ihrer Freischwinger Deutschland verlassen mussten. Oder dass Deutschland nach dem Krieg mit der erneuten Zuwendung zum Bauhaus-Stil vor allem äußerlich Demokratisierung und Erneuerung zu belegen versuchte.
Zur Ausstellung bietet das Bauhaus-Archiv ein umfangreiches Rahmenprogramm.
Bis 10.6., Bauhaus-Archiv / Museum für Gestaltung, Klingelhöfer Straße 14, Tel.: (030) 25 40 02 0, www.bauhaus.de
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