Düster poetisch
Oper Leipzig: Ballett »Mörderballaden«
Dieses Ballett spielt mit der Grenzüberschreitung. Zumindest lässt der Titel etwas derartiges ahnen. Und die Songs und Balladen des Australiers Nick Cave gehören ja nun auch nicht gerade zu der Musik, die das Opernhaus füllen. Vielleicht blieben deshalb einige der Besucher weg, die sonst immer zu einer Ballett-Premiere gehen. Und die auch Mario Schröders Art mögen, wie er Geschichten vertanzt und mit seinen Choreografien assoziative Räume öffnet, die dann von den Inspirationen einer starken Künstlerpersönlichkeit ausgefüllt werden. Mit Charly Chaplin und mit Jim Morrison etwa hat das hervorragend funktioniert. Es spricht alles dafür, dass seine Ballett-Version von Nick Caves Album »Murder Ballads« aus dem Jahre 1996, die er schon vor fünf Jahren in Kiel entwickelt hat, auch in Leipzig zu einem Erfolg wird.
Die Publikumsprobleme der Leipziger Oper hängen eher mit der misslichen Lage zusammen, in die sich das Haus teils selbst, teils durch eine bizarre Personalpolitik der Stadt manövriert hat. Nach Peter Konwitschnys türenknallendem Abgang als Chefregisseur und der damit verbunden Klärung der »Machtfrage« am Haus wird der nun für die musikalische Seite und das ganze Haus allein verantwortliche Intendant Ulf Schirmer wohl noch eine Weile brauchen, bis der Operntanker am Augustusplatz wieder in ähnlich sicheren Gewässern schippert wie der Gewandhaus-Kreuzer gerade rüber.
Schröders »Mörderballaden« jedenfalls verbreiten einen düster poetischen Charme, bleiben beim vorgegebenen Thema, doch spritzt nicht wirklich (Theater-)Blut, sondern vor allem Wasser. Da, wo sonst der Orchestergraben gähnt, haben die Ausstatter nämlich ein flaches Wasserbecken installiert, das von den Tänzern ausgiebig genutzt wird. Das Anfangsbild: ein nächtlicher Wald. Baumstämme auf drei transparenten Prospekten hintereinander vermitteln einen Eindruck von unheimlicher Tiefe. Man wundert sich nicht, wenn hinter jedem Baumstamm eine Gestalt mit gezücktem Messer oder geschwungener Axt oder Kettensäge hervortritt. Alles stilisiert verlangsamt und eingenebelt beim Morden.
Das erreicht freilich nicht mal die Schockwerte eines sonntäglichen Tatorts, vor dem einem ja auch immer »gute Unterhaltung« gewünscht wird. Hier geht’s nicht um die belehrende Wirkung demonstrierter Grausamkeiten. Schröder und seine Truppe wandeln auf den Spuren der Moritaten-Sänger, der ja auch Nick Cave mit seinem Album gefolgt ist. Sie frönen über 90 Minuten der Lust am makabren Witz. Das von Bob Dylan gecoverte »Death Is Not the End« zur düster schaurigen Waldszene gibt geradezu einschmeichelnd das Fazit vor. Der Tod ist nicht das Ende. Dann verschwindet der Wald. Und man sieht einen nicht weniger gespenstischen Platz mit einem Haus im Hintergrund. Könnte gut eins von den Reihenhäusern sein, hinter deren geleckten Fassaden sich ja bekanntlich auch zuweilen der pure Horror versteckt.
Auf und mit diesem Platz, vor und mit diesem Haus, am und im Wasser und dann auch nochmal im Wald erzählt Schröder kraftvoll virtuos, solistisch und oft auch im Ensemble getanzt die mörderischen Geschichten. Mit Pathos, aber auch mit Augenzwinkern. Wenn sich die Männer, die gerade mit ihrem Machogehabe geprotzt haben, unter losgelösten Bodenplatten verstecken und nur die Gesichter zu sehen sind. Oder wenn sich das Haus verselbständigt und seine Hülle wie ein Geist über die Bühne mäandert. Oder, wenn alle im weißen Tütü einen Ausflug in den nächtlichen Wald machen und selbst wie die Schneeflocken aussehen, die aus dem Schnürboden rieseln.
Es gibt einen großen Revolver und entsprechendes Geballere. Auch als Schrift im Übersetzungskasten. Einmal lässt Schröder ganz wortwörtlich die Puppen, ansonsten aber vor allem seine Truppe nach Herzenslust im mörderischen Ambiente tanzen. Geschont wird dabei keiner. Und doch wirkt es nicht überanstrengt, sondern souverän und reflektiert. Jede Menge Tatort und nirgends ein Kommissar.
Nächste Vorstellungen: 23.3., 5., 20., 29.4.
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