Das Ende der Stromkonzerne?
Als der deutsche Solarpionier noch RWE hieß
Die etablierte Stromwirtschaft hatte Angst - und zwar vor den Bürgern. Die nämlich begannen plötzlich nicht nur Strom zu verbrauchen, sondern ihn auch auf ihren Dächern zu erzeugen. Für die eingesessenen Kraftwerksbetreiber war das eine Horrorvorstellung.
Wir schreiben das Jahr 1986. Die Katastrophe von Tschernobyl hat die Debatte über erneuerbare Energien beflügelt. In Freiburg installiert der Bund für Umwelt und Naturschutz die größte Solarstromanlage Süddeutschlands, sie leistet bei voller Sonne ein Kilowatt. Der Strom wird allerdings in Batterien gespeichert, denn er darf nicht ins Netz: Die Kraftwerksbetreiber fürchten die Konkurrenz aus Bürgerhand.
Diese Furcht spüren auch die Forscher am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg. Sie suchen nach Tschernobyl ein Haus für den Bau einer großen Solarstromanlage. Außerhalb von Stuttgart finden sie eines, das optimal geeignet ist. Es liegt drei Kilometer von allen Stromkabeln entfernt, seit Kriegsende schon kämpft der Eigentümer um einen Stromanschluss. Doch vergebens. Der Stromversorger, die Energie-Versorgung Schwaben (EVS), verlangt für das Kabel einen horrenden Preis, den der Hauseigentümer nicht bezahlen kann. Ein ideales Projekt also für das ISE.
Doch als die EVS von den Plänen erfährt, ist das Haus für die Solarforscher verloren. Denn umgehend bietet der Stromkonzern dem Hausbesitzer die Leitung für ein Drittel des bisherigen Preises an - und der entscheidet sich für den Netzanschluss. Jürgen Schmid, damals Forscher am ISE, erinnert sich: »Die Stromversorger waren sehr nervös.« Sie hatten Angst, die solare Versorgung der Häuser könnte Schule machen.
Ihren nächsten Anlauf halten die Forscher daher geheim - und sind damit erfolgreich. Im Sommer 1987 bauen sie eine Anlage auf dem Rappenecker Hof, einer Wandergaststätte im Schwarzwald in 1000 Meter Höhe. Auch sie bleibt im Stil der 80er Jahre netzautark. Erst im Jahr 1991 ändert sich die Politik grundlegend: Mit dem Stromeinspeisungsgesetz hat fortan jede Fotovoltaikanlage einen Anspruch auf Anschluss ans Stromnetz. Es ist der Beginn einer großen Entwicklung.
Solarzellen für die Raumfahrt
Technisch gesehen hat der Solarstrom um diese Zeit schon eine lange Geschichte hinter sich. Sie beginnt in der Raumfahrt. Nachdem Forscher der amerikanischen Telefongesellschaft Bell im April 1954 die erste brauchbare Solarzelle vorgestellt haben, startet bereits vier Jahre später in den USA der Satellit Vanguard 1. Er hat Solarzellen an Bord mit einer Leistung von 0,1 Watt; deren Preis, 2000 Dollar pro Watt und damit das etwa Tausendfache von heute, spielt bei diesem Projekt keine Rolle. In Deutschland baut AEG-Telefunken in Heilbronn ab 1966 Solarzellen für die Raumfahrt.
Erst die Ölkrise 1973 bringt die Sonne auf die Erde - und die großen Namen der deutschen Industrie sind dabei: AEG, BBC (heute: ABB), Dornier, Philips und vor allem RWE gründen im Juni 1975 in Essen die Arbeitsgemeinschaft Solarenergie. Ihr Sitz ist die Hauptverwaltung von RWE. Bald kommen weitere Firmen hinzu, von Bosch über Buderus bis Wacker.
Sie experimentieren vor allem mit der solaren Wärme und bauen erste Solarhäuser. Eines entsteht 1974 auf dem Gelände des Philips-Forschungslaboratoriums in Aachen, zusammen mit RWE, eines im Frühjahr 1976 in Walldorf bei Heidelberg unter Führung von BBC. Im gleichen Jahr bauen RWE und Dornier auch in Essen ein Solarhaus, nachdem in Wiehl im Bergischen Land ein Schwimmbad mit fast 1500 Quadratmetern Solarkollektoren ausgestattet wurde. Ebenso in der DDR gibt es erste Solarhäuser: In Mötzlich, einem Stadtteil von Halle, stattet der VEB Wohnungsbau Halle-Neustadt vier Einfamilienhäuser der Baujahre 1977 bis 1979 mit Kollektoren aus.
Parallel aber wird im Westen auch die junge Anti-Atombewegung zu einer treibenden Kraft der Solarenergie. Aus dem Kampf gegen das Atomkraftwerk Wyhl entsteht im Nachbarort eine kleine Kollektorenfabrik, in Österreich werden Selbstbaugruppen aktiv, weil sie in der Solarenergie ein Mittel gegen das geplante Atomkraftwerk Zwentendorf sehen. Und in Marburg gründen Studenten eine Solarfirma, die heute unter dem Namen Wagner & Co. als traditionsreichstes Unternehmen der Branche noch immer am Markt ist. In Sasbach am Kaiserstuhl veranstalten Atomkraftgegner 1976 die größte Solarmesse der Welt - mit zwölf Ausstellern.
Die Fotovoltaik ist unterdessen fest in der Hand etablierter Konzerne. Die RWE-Tochter Nukem steigt 1979 in die Solarzellenfertigung ein und die deutsche Industrie baut große Solaranlagen auf: Im Jahr 1983 installiert AEG 300 Kilowatt auf der Nordseeinsel Pellworm. Das Bayernwerk (heute Eon), sowie BMW, Linde, MBB und Siemens errichten 1987 in Neunburg vorm Wald eine Fotovoltaikanlage für ein Solar-Wasserstoff-Projekt. RWE folgt mit Großanlagen in Kobern-Gondorf an der Mosel und am Neurather See. Der Industrie passen solche Anlagen ins Weltbild, anders als die Bürgeranlagen.
Neue, mittelständische Solarunternehmen
Doch in den neunziger Jahren verlieren die etablierten Konzerne das Interesse und fast nahtlos wächst eine neue Generation von Solarunternehmen heran. Sie ist politisch geprägt und mittelständisch organisiert. Sie hat, anders als einst RWE, die umweltbewusste Bevölkerung hinter sich. Und sie ist technologisch visionär, steht in engem Kontakt mit Universitäten und Forschungsinstituten. Firmen wie die Solar-Fabrik in Freiburg und Sunways in Konstanz zählen zu dieser neuen Generation.
In den ersten Jahren profitieren diese Firmen von kommunalen Förderprogrammen: Einige Städte wie Aachen, Freising und Hammelburg gewähren ab Mitte der neunziger Jahre eine kostendeckende Vergütung für Solarstrom. Das Prinzip wird im Jahr 2000 mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) bundesweit eingeführt.
Und während das Solargeschäft im neuen Jahrtausend blüht, ergibt sich für die etablierte Stromwirtschaft in Deutschland eine fatale Situation: Weder produziert sie heute Solartechnik, noch betreibt sie in nennenswertem Umfang Anlagen. Das Geschäft machen nun andere, auch Privatbürger.
Besonders bitter für die Stromkonzerne: Längst geht es beim Solarstrom um satte Mengen. Zu manchen Stunden deckt die Sonne im Frühjahr ein Drittel des deutschen Bedarfs. In den Mittagsstunden ist die Fotovoltaik mitunter bereits die ertragreichste aller Stromquellen - 17 Gigawatt Solarenergie stehen Ende März stundenweise 15 Gigawatt Braunkohle und 12 Gigawatt Atomstrom entgegen.
Und so hat die etablierte Stromwirtschaft jetzt wieder Angst vor der Fotovoltaik. Diesmal ist die sogar berechtigt.
Sonnenenergie und Fotovoltaik
Umweltverbände kritisieren die am Donnerstag vom Bundestag beschlossene Kürzung bei der Solarförderung. Sie befürchten, dass so das Ziel, im Jahr 2020 ein Zehntel des Stroms in Deutschland mit Fotovoltaik-Anlagen zu erzeugen, nicht erreicht werden kann.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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