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Wo man mit Menschen umgeht wie mit Apfelsinenkisten

Das in der EU geltende Flüchtlingsrecht verursacht weiterhin unermessliches Leid, obwohl selbst Gerichte es unmenschlich finden

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.
Gestern fand ein Aktionstag gegen die Dublin-II-Verordnung statt, die Flüchtlinge dazu zwingt, Asyl in dem Staat zu beantragen, in den sie zuerst eingereist sind. An deutschen Flughäfen wurde protestiert.

Der Genuss eines Schluckes Bier kann tödlich sein. Wenn man in Somalia lebt, einem Land, in dem bereits seit Jahren ein Bürgerkrieg wütet und das von einer islamistischen Miliz terrorisiert wird. Wer raucht oder beim Trinken eines Bieres gesehen wird, muss mit schwerster körperlicher Züchtigung rechnen, auch mit dem Tod. Hassan Nour Ali, 41 Jahre alt, ein eingeschüchtert dreinblickender Somali, dem es vergangenes Jahr gelang, nach Deutschland zu kommen, erzählt in gebrochenem Englisch seine Fluchtgeschichte: »Sie brachten meine Familie um und haben uns alles genommen, was wir besaßen.« Er selbst wurde misshandelt und gefoltert, weil man Bier bei ihm fand. Nach einer Odyssee durch die Wüste kam er nach Libyen, um dort zu erfahren, wie man mit ungebetenen Leuten wie ihm umgeht: »Wenn du ein wenig Geld hast, überlebst du im Gefängnis. Ohne Geld stirbst du dort.« Auch als ihm die Flucht übers Meer nach Malta gelang, landete er in Haft. »Aber ich bin doch gar kein Krimineller«, sagt Nour Ali. Derzeit lebt er in einem Brandenburger Flüchtlingslager. Eine Duldung hat er nicht. Jederzeit kann er wieder nach Malta abgeschoben werden. Ob er Freunde in einem anderen EU-Staat hat, spielt keine Rolle.

Denn in Europa gilt für Flüchtlinge die sogenannte Dublin-II-Verordnung. Der Sinn dieser gesetzlichen Regelung besteht offenbar einzig und allein darin, es europäischen Zentralstaaten wie Deutschland zu ermöglichen, das Flüchtlingselend fernzuhalten und die Verantwortung für asylsuchende Menschen den ärmeren Staaten an den europäischen Außengrenzen aufzubürden. Diese Staaten haben jedoch oft kein funktionierendes Asylsystem und sind schon mit der Unterbringung der ankommenden Menschen völlig überfordert. Selbst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat im Januar letzten Jahres dieses groteske System als unmenschlich bezeichnet.

2902 Flüchtlinge wurden im letzten Jahr im Rahmen dieses Verfahrens aus Deutschland in andere EU-Staaten wie etwa Griechenland oder Malta abgeschoben, in denen die Menschen grundlos interniert, ihre Rechte ignoriert werden. 380 der Abgeschobenen waren minderjährig.

»Die Menschen werden wie Apfelsinenkisten hin- und hergeschickt. Es werden ihnen auch keinerlei Rechtsmittel gewährt«, sagt Harald Glöde von der Menschenrechtsorganisation Borderline Europe verärgert. Viele Asylsuchende, die aus Bürgerkriegsländern wie Afghanistan, Somalia oder Eritrea kämen, seien »psychisch schwer angeschlagen und traumatisiert«. Am Ende fänden sich viele mittellos in einem Flüchtlingslager an der Peripherie Europas, wo sie wie Kriminelle behandelt werden und »in dem sie vegetieren und noch kränker werden«, so Göde.

Gestern protestierten aus Anlass eines bundesweiten Aktionstages gegen die sogenannte Dublin-II-Verordnung antirassistische Gruppen und Menschenrechtsverbände an fünf großen deutschen Flughäfen. Die Aktionen waren für den späten Nachmittag vorgesehen. Am Flughafen Berlin-Tegel, wo beispielsweise die Unternehmen Lufthansa und Air Berlin an solchen innereuropäischen Abschiebungen beteiligt sind, wolle man versuchen, »der Öffentlichkeit klarzumachen, dass es viele Menschen gibt, die nur deshalb hinter Gittern sitzen, weil sie nach Europa gekommen sind«, sagt Lothar Steiner vom »Aktionsbündnis gegen Dublin II«.

Glöde nennt die Dublin-II-Verordnung, mit deren Hilfe Flüchtlinge von den »kerneuropäischen« bzw. reichen Ländern Deutschland und Frankreich ferngehalten werden, ein »bürokratisches Monstrum«. Es sei für einen Flüchtling, dessen Leben bedroht ist, heute »unmöglich, auf legalem Weg in die Kernstaaten Europas zu kommen«.

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