Kampfzone Straße

2011 stieg die Zahl der Verkehrstoten, besonders betroffen sind Fußgänger und Radfahrer

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 3 Min.
Kampfzone Straße

Es ist eine typische Szene für Berlin. Ein Autofahrer, der mit seinem Fahrzeug einen Fahrradweg auf der Kreuzung am Kottbusser Tor in Kreuzberg blockiert, gerät in Konflikt mit einer Fahrradfahrerin, die nur passieren könnte, wenn sie in den nebenan fließenden Verkehr ausweicht. Unflätige Beschimpfungen wechseln hin und her, es wird mit Fäusten gedroht. Am Ende spuckt die Fahrradfahrerin auf die Motorhaube des Verkehrsdelinquenten. Natürlich ist es immer eine Frage der Perspektive, ob man als Autofahrerin, als Fahrradfahrerin oder Fußgängerin in Berlin unterwegs ist. Doch gleichermaßen werden die Straße und die Bürgersteige als Kampfzone wahrgenommen. Alle gegen alle.

Dass das nicht nur subjektive Eindrücke sind, sondern die Gefahr im Straßenverkehr in Berlin sich auch statistisch niederschlägt, belegt der DEKRA Verkehrssicherheitsreport 2012, der gestern vorgestellt wurde. Demnach leben Fußgänger und Fahrradfahrer in Berlin im deutschlandweiten Vergleich besonders gefährlich. Nach vielen Jahren stieg auch die Zahl der im Verkehr Getöteten in Berlin wieder an: Insgesamt 54 Verkehrstote waren 2011 im Vergleich zu 44 im Jahr 2010 zu beklagen. Ein krasser Anstieg um 23 Prozent. Das Gros der Getöteten waren mit einem Anteil von 74 Prozent Fußgänger und Fahrradfahrer.

»Pro Woche kommt im Schnitt eine Person auf Berlins Straßen ums Leben«, sagt Andreas Krause, der Leiter der DEKRA-Konzernrepräsentanz Berlin. Das seien zwar deutlich weniger Verkehrstote als vor zehn Jahren, aber immer noch viel zu viele. Und im Vergleich zu anderen Großstädten sei Berlin ein besonders »gefährliches Pflaster«, meint Krause. Die DEKRA, eine der weltweit führenden Expertenorganisationen für Kfz-Prüfungen und Gutachten, fordert deshalb vom Berliner Senat, mehr für die gegenseitige Rücksichtnahme im Verkehr zu tun. »In Berlin ist das ein täglicher Kampf«, klagt Mario Schwarz, der DEKRA-Sprecher für Berlin-Brandenburg. »Unser Hinweis im letzten Jahr, wonach es insbesondere in der deutschen Hauptstadt einen großen Nachholbedarf zu geben scheint, was die Rücksicht im Straßenverkehr besonders den schwächeren Verkehrsteilnehmern gegenüber angeht, war offenbar mehr als berechtigt.«

Um die Gefahren zu minimieren, setzt das Unternehmen über die Steigerung der gegenseitigen Akzeptanz hinaus auf eine ganze Reihe weiterer Maßnahmen, die die Verkehrssicherheit für alle verbessern helfen könnten. »Wir brauchen Verkehrserziehung im Grundschulalter und eine bessere Ausbildung der Fahranfänger«, sagt Schwarz. Darüber hinaus müssten regelmäßig Aufklärungskampagnen in Massenmedien durchgeführt werden. Doch nicht nur Appelle sollen helfen, sondern auch Sanktionen. Die Gurtpflicht etwa solle auf 100 Prozent erhöht werden. Fahrrad- und Autofahrer sollten überhaupt stärker kontrolliert werden. Denn auch das habe die Geschichte der Verkehrssicherheit gezeigt: Wirklich bedeutende Fortschritte gab es nur mit der Einführung von Bußgeldern.

Leicht kritisch sehen die Verkehrsexperten dagegen elektronische Systeme in Fahrzeugen. Die würden zwar das subjektive Sicherheitsgefühl der Autofahrer erhöhen und in Zukunft immer ausgefeilter werden, häufig verleiten sich jedoch dazu, sich im Verkehr unaufmerksamer zu verhalten. »Die Systeme müssen intuitiv zu verstehen und zu erklären sein«, fordert deshalb Andreas Kraus. Nur so machen sie Sinn. Denn insbesondere ältere Verkehrsteilnehmer und Senioren haben Probleme mit der Technik. Bleibt der Faktor Mensch. Würden sich alle an die Regel halten, dürfte es bedeutend weniger Unfälle geben.

Mit den Folgerungen aus dem Verkehrssicherheitsreport rennt die DEKRA indes beim Senat offene Türen ein. Eine »Akzeptanzkampagne« ist bereits in Planung, bestätigt eine Sprecherin von Verkehrssenator Michael Müller (SPD). »Bei der geht es nicht um Belehrungen von Verkehrsteilnehmern und gegenseitiges Ausspielen der Verkehrsteilnehmer, sondern es ist zu zeigen, dass alle gefordert sind«, sagt Eva-Maria Scheel. Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub Berlin (ADFC), deren Vorsitzende Scheel ist, macht auch bei der Kampagne mit. Einen Schwerpunkt auf die Sicherheit im Verkehr legt in diesem Jahr die Berliner Polizei. Parken auf dem Fahrradweg etwa soll nicht mehr als Kavaliersdelikt durchgehen.

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